Katalog
12 tung in der Architektur des augusteischen Sachsen – eine ältere Bezeichnung, die nach neuerer Erkennt- nis zu ergänzen ist mit dem Terminus »protestan- tisch«. Der Bildhauer, der im Auftrag und nach dem Entwurf George Bährs Altar und Orgelprospekt der Frauenkirche schuf, war Johann Christian Feige d.Ä. Beide Künstler arbeiteten hauptsächlich im Auftrag der Stadt, vermögender Bürger oder Adliger, nicht aber für den Hof. Ihren Werken ist dies anzusehen, auch wenn – im Falle der Frauenkirche – mit den hän- genden Lambrequins ein Dekorationsmotiv der höfi- schen Künste, das in Dresden schon seit 30 Jahren verwendet wurde, bei diesem Werk durchschlägt. In den Prospekten anderer Orgeln sind davon allenfalls Andeutungen vorhanden. Ihr dekoratives Hauptmo- tiv ist das altertümliche Akanthuswerk, wie schon bei der Freiberger Domorgel von 1714. Wie dergleichen bei einem höfischen Auftrag etwa aussehen müßte, zeigt das Gehäuse des Porzellanglockenspiels des Meißner Modellmeisters Johann Joachim Kändler, von 1736 bis 1737. Den in- strumentalen Teil des Werkes, das für die Kapelle des Japanischen Palais’ in Dresden bestimmt war und das wegen Tonmängeln der Porzellanglocken mißglückte, schuf der Meißner Orgelbauer Hähnel. Hier wird die höfische Bestimmung durch die Königskrone be- zeichnet, die den oberen Abschluß bildet, genauso wie beim Orgelprospekt der Katholischen Hofkirche. Das hauptsächliche Dekorationsmotiv aber ist das aus dem französischen Louis-quatorze übernommene Laub- und Bandelwerk, das der Hofjuwelier Dinglin- ger bereits 1701 in Dresden eingeführt hatte und das seitdem bei allen höfischen Dekorationsaufgaben do- minierte. Daneben sieht man noch symmetrisch angeordnete Tuchgehänge, wie an den Fenstern des Zwingers, und den senkrechten Pfeilerschmuck aus hängenden Blüten, den sogenannten Franzblümlein. Die ganze Fassade wirkt zierlicher und eleganter, die protestantischen Werke sind im Vergleich strenger und von einfacher geometrischer Klarheit des Baus. Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei den Engel- paaren, die auf den oberen Gebälkabschlüssen der Orgeln sitzen. Diese vollplastischen Figuren spielen auf ihren Trompeten mit ruhiger Gelassenheit sowohl seit 1714 im Freiberger Dom als auch seit 1736/39 in der Frauenkirche, während ihre katholische Ver- wandtschaft in der Hofkirche seit 1755 elegant bewegt und mit diagonal gehaltenen Trompeten eine aktionsreich schmetternde Musik suggeriert. Für Gottfried Silbermann waren solche Verhältnis- se nicht neu und für sein Kunstverständnis und sein Unternehmen ohne Relevanz. Die neuesten franzö- sischen Formsysteme kannte er ebenso wie die einheimischen traditionellen; religiös-politische Mei- nungsunterschiede waren ihm aus beiden Ländern geläufig, Musiker beider Konfessionen spielten je- doch vor Hörern aus allen Ständen die gleichen In- strumente. Man darf jedoch daraus nicht schließen, daß Silbermann, abseits in der Freiberger Provinz, unberührt von den geistigen und politischen Ausein- andersetzungen der Zeit gewesen sei. Sein Verhalten entsprach dem der Musiker der Hofkapelle und der meisten Hofkünstler in Dresden – der Bildhauer, Maler und Juweliere – wie der berühmten Meister der königlichen Porzellanmanufaktur in Meißen. Sie alle arbeiteten für Auftraggeber der jeweils anderen Konfession, ungeachtet ihrer eigenen, wobei der international modifizierte Stil der Hofkünstler kon- fessionelle Färbungen unkenntlich werden ließ. Es war die Aufklärung, die, gleichsam als übergeordnete Struktur, ein evangelisches Land für ein katholisches Fürstenhaus regierbar machte. Bestimmend war der Geist der Toleranz und des gegenseitigen Respekts. Natürlich trat diese neuartige Verhaltensweise in Freiberg anders in Erscheinung als im kunstreichen Dresden oder im intellektuellen Leipzig. Das alte montanwirtschaftliche Zentrum Sachsens war ge- prägt von den Kirchen des Mittelalters und den repräsentativen Bürgerbauten der Renaissance. Zeugnisse des Barock treten im Stadtbild eher in des- sen Frühformen auf, infolge der langandauernden Aufbauphase Sachsens nach dem 30jährigen Krieg, in der die Freiberger Hütten sehr wichtig waren. Bald darauf aber vermochten die Erträge von Kobalt aus dem Schneeberger Revier mit den Einnahmen aus der nachlassenden Silberproduktion Schritt zu halten, und zahlreiche Manufakturgründungen vor allem für Textilien bewirkten, daß die beherrschen- de wirtschaftliche Bedeutung der alten Montanme- tropole zurückging. Der Aufschwung des Landes in der augusteischen Periode, auf der die Prosperität der Silbermannschen Werkstatt beruhte, ließ präch- tige Bauwerke nicht nur in Dresden und Leipzig, son- dern auch in Schneeberg und Bautzen entstehen. Freiberg aber besaß keine großen Handelshäuser und neue Manufakturen. Seine fortwirkend große Bedeutung für den »Bergstaat« beruhte auf seinen traditionellen Strukturen. Hier dirigierte das Ober- bergamt mit seinem Verwaltungsapparat die gesam- te Montanwirtschaft des Landes. Seit 1702 intensi- vierte die von August dem Starken gegründete Sti- pendienkasse die Ausbildung des montanwissen- schaftlichen Nachwuchses und die metallurgische Forschung. Sie war eine Vorform der Bergakademie, und ihre Basis – die Verhüttung von Silbererz – war noch immer von großer Wichtigkeit für das Land. Freiberg spielte also im augusteischen Wirtschafts- system einen traditionellen Part, und genau dies be- kundet das äußere Bild der Stadt. Dabei bezeugen gleichzeitig die Fürstenlogen im Dom, die unter der Bauleitung des Oberlandbaumeisters Pöppelmann Silbermanns Sachsen
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