Katalog
Die Geschäfte des Bürgermeisters 15 Im Jahre 1739 war der Ansturm auf das Heilbad bereits so groß, dass der Bedarf an Unterkünften nicht mehr gedeckt werden konnte. Zu dieser Zeit erinnerte nur noch wenig an die bescheidenen Anfänge der Stollen- quelle. Längst schon hatte Seydel für vielerlei Annehmlichkeiten gesorgt. Die etwa 200 Personen, die das Bad jährlich aufsuchten, scheinen bei wei- tem nicht so gebrechlich gewesen zu sein, wie man vielleicht vermuten könnte. In den Gebäuden wurde zum Tanz gebeten, es gab Vorstellungen eines Marionettentheaters sowie die Möglichkeit zu kegeln oder Billard zu spielen. Zweimal in der Woche brachten Boten die neuesten Zeitungen und wer auf sich hielt, erschien zum sonntäglichen Gottesdienst im Kir- chensaal. Kurzum, das Geschäft florierte und erwirtschaftete – wie die Ra- deberger Nachbarn anklagend registrierten – größeren Nutzen als man- ches Rittergut. Der Streit mit der Stadt Radeberg sollte Seydel ein Leben lang beglei- ten. Das anfängliche Gespött der Bürgerschaft über die kauzige Idee ihres Bürgermeisters war bald handfesten Forderungen gewichen. Sie liefen zunächst darauf hinaus, das Bad kurzerhand in die Stadt zu verlegen. Auch die Eigentumsrechte am Tannengrund und die Versorgung der Kur- gäste mit Lebensmitteln waren Gegenstand zahlreicher Prozesse. Seydel klagte über die Ungenießbarkeit des Radeberger Bieres, die Bürgerschaft beschwerte sich über das ausgelassene Verhalten der Badegäste. Seydel versuchte, ein Stück Land für neue Gebäude zu erwerben, der Rat pochte auf seinen Besitzstand. Ungeachtet zahlreicher Vergleiche – die Gegensät- ze blieben. Mehr als einmal wird Seydel geflucht haben. Die Radeberger ihrerseits mussten neidvoll zusehen, wie prächtig sich das unliebsame Unternehmen entwickelte. Den größten Triumph allerdings hat Seydel nicht mehr erlebt. Im Sommer 1747 wurden seine Erben mit dem Tannen- grund belehnt. Heute, mehr als 260 Jahre danach, erinnert in und um Radeberg nur noch wenig an den langjährigen Bürgermeister der Stadt. Das Augus- tusbad ist verfallen und eines Tages werden auch die Ruinen auf dem Gelände des Bades verschwunden sein. Immerhin; seit 1992 trägt eine neu angelegte Straße im Norden der Stadt Seydels Namen. Auf dem baro- cken Grabstein des erfolgreichen Unternehmers aber lesen wir: »Der Ge- rechten Seelen sind in Gottes Hand. Und der Leib des weil. wohl Edlen Vest und wohlweisen Herrn Christoph Seydels, in die 35 Jahre wohlver- dientgewesenen Bürgermeisters und Besitzer des von Ihm 1719 erfun- denen Augustus-Bades, erwartet der fröhlichen Auferstehung. Ward ge boren zu Seidenberg d. 6. Sept. 1670, allhier verehelicht 1699, zeugte 3 Söhne und 3 Töchter, erlebte davon 21 Kinder und Kindeskinder, starb selig d. 11. April 1747 in seinem 77. Jahre.«
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