Katalog

73 Die Rhododendren von »Sansibar« sende Konkurrenz, die Notwendigkeit, billiger zu produzieren, und die Launen der Mode führten zu Einschränkungen des Sortiments. Weniger robuste oder aus anderen Gründen ungeeignete Pflanzen verschwanden aus den Gärtnereien und gerieten in Vergessenheit. Gleichzeitig mit dem Zwang zur Spezialisierung entstand ein weiteres Problem. Nach wie vor arbeiteten die meisten Gartenbaubetriebe am Rand der Altstadt. Die aber wuchs gewaltig. Immer neue und höhere Gebäude verstellten den Blick. Wo früher schlecht befestigte Wege und zahlreiche Felder gelegen hatten, erstreckten sich nun gepflasterte Stra- ßen und Wohnsiedlungen. Allein in der Zeit zwischen 1855 und 1867 nahm die Bevölkerung Dresdens etwa um 50 000 Personen zu. Da die Pflanzen unter dem Ruß der Schornsteine litten und der junge Familien- vater die unter Platzmangel leidende Gärtnerei vergrößern wollte, wurde nach einem anderen Gelände Ausschau gehalten. Außerhalb der Stadt Wenige Kilometer östlich der Altstadt lag noch um die Mitte des 19. Jahr- hunderts das kleine Dorf Striesen. Bis hierher führten eifrige Polizisten die aus Dresden verbannten Bettler, um sie bei nächster Gelegenheit er- neut im Stadtgebiet aufzusammeln. »Striesen, Striesen, stadtverwiesen«, hieß es aus diesem Grund. Genau an der Flurgrenze, dort wo die Polizei kehrtmachte, erwarb Herrmann Seidel 1865 mehrere Hektar Land. Der Ackerboden war von bester Qualität und kostete nur ein paar Pfennige pro Quadratmeter. Links und rechts lagen Felder und Wiesen, auf denen eine Reihe windschiefer Scheunen standen. Vor dem schnell errichteten Zaun des Grundstücks hütete der benachbarte Schäfer seine Herde – ein Eindruck, den die älteren Kinder der Familie im Gedächtnis behielten. Die neue Gärtnerei, die Herrmann Seidel in Striesen erbauen ließ, gehörte zu den modernsten ihrer Art. Alle Gewächshäuser wurden über eine zentrale Hochdruckdampfheizung mit Wärme versorgt. Auch die Erfindung der sogenannten »Japans« ging auf das Konto des rührigen Hausherren. Aus Balken und rohen Brettern zusammengefügt, bestimm- ten sie bald das Bild vieler Dresdner Betriebe. Bis zu 26 000 Kamelien oder Azaleen fanden in den größeren Häusern Platz. Halb in die Erde hineingebaut, im Sommer offen und im Winter bis auf wenige Lichtfens- ter mit Sägespänen, Nadelerde oder Dünger bedeckt, verursachten sie nur geringe Kosten. »Die Kamelien wachsen ja hier wie in Japan!« soll ein begeisterter Kollege beim Anblick der Seidelschen Neuerung ausgerufen und damit den Begriff geprägt haben.

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