Katalog

74 Eine fast kindliche Vorliebe für seltsame Bezeichnungen bewahrte sich der Hausherr zeitlebens. Das tapezierte Zimmer seiner Frau nannte er »Pappschachtel«, eine mit Glas verkleidete Veranda hieß »Affenbude«. Je nach Funktion oder Lage trugen selbst einige der über 20 Gewächshäuser Namen. Der »Omnibus« zum Beispiel beherbergte Pflanzen, die Privatleute nur kurzzeitig in Pflege gaben und die daher, wie eilige Fahrgäste, »bald ein und bald ausstiegen«. Der »Suezkanal« lag an einem Wassergraben und im »Käfig« wurde der Himalaja-Rhododendron gehalten. Die wunder- samen Bezeichnungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dem großen Betrieb alles seine Funktion hatte. Da gab es Arbeitsstätten für Zimmerer und Glaser, Lagerräume für Töpfe und Gartengerät, Pferdestäl- le und einen Moosschuppen. Im Gärtnereigebäude selbst befanden sich die Wohnungen, das Kontor und der Raum mit den Heizkesseln für die Gewächshäuser. Helene Eidner, die 1870 geborene Tochter Seidels, konnte sich noch im hohen Alter an die Verhältnisse in der Gärtnerei erinnern. Ihr Bericht über die eigene Kindheit ist aufschlussreich. Wir blicken auf ein klar ge- gliedertes, vollkommen vom Hausherrn bestimmtes Unternehmen: »Einen lieberen Menschen als unseren Vater konnten wir uns nie den- ken. Nie heftig, immer beherrscht, auch nicht übermütig und gern heiter. Viel Sinn hatte er für Musik, war nicht selbst ausführend, konnte aber zu Mutters Klavierbegleitung ausgezeichnet pfeifen. Nie hat er uns gestraft, doch sein betrübter Blick, wenn wir etwas verbrochen hatten, beschämte Ansicht der Seidelschen Gärtnerei in Dresden-Striesen, Borsbergstraße

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