Katalog

11 Eine waghalsige Idee An der Nordwand der Radeberger Stadtkirche »Zum heiligen Namen Got- tes« lehnt ein verwittertes Epitaph. Nur mit Mühe lässt sich die Inschrift entziffern. Sie erinnert an Christoph Seydel, geboren am 6. September 1670, gestorben am 11. April 1747. Seydel – fünfunddreißig Jahre lang Bürgermeister von Radeberg und Gründer des Augustusbades – war we- der Gärtner noch Liebhaber exotischer Pflanzen. Ob er je eine Orangerie von innen gesehen hat, wissen wir nicht. Und doch ist die Geschichte, um die es hier geht, untrennbar mit seinem Namen verbunden. Im Zeitalter Augusts des Starken verkörperte er einen Unternehmertyp, wie ihn die kursächsische Kleinstadt noch nie erlebt hatte. Der Großvater des späteren Hofgärtners muss von imponierender Na- tur gewesen sein. An geistiger Beweglichkeit und Vitalität den meisten seiner Mitbürger voraus, war er zeitlebens verstrickt in Projekte. Dass sich daraus eine endlose Kette von Gerichtsprozessen, Klagen und Gegen- klagen ergab, hat er hingenommen. Neid und Missgunst schienen ihm ohnedies sicher. In der engen, »altväterlichen« Welt der knapp 1000 Ein- wohner herrschte eine rigide Moral. Man lebte in seinem Stand und wuss- te, was sich schickte. Hinzu kam, dass die Seydels Glaubensflüchtlinge aus dem Schlesischen waren. Fremde aber, selbst wenn sie einiges an Vermögen mitbrachten, hatten es doppelt schwer. Die Tatsache, dass der Rat der Stadt Seydel trotzdem zum Bürgermeis- ter wählte, spricht für die starke Persönlichkeit des gelernten Tischlers. Auch sein Besitz und seine rhetorischen Fähigkeiten werden bei der 1712 getroffenen Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Zur damaligen Zeit gab es in Radeberg zwei oder drei Räte, die sich im jährlichen Wechsel als Stadtoberhaupt ablösten. Der neue Bürgermeister sollte bald alle Hände voll zu tun bekommen. Am 17. Mai 1714 läuteten die vier Glocken der Stadtkirche Sturm. Nach »gewaltigem Donnerwetter und dreifachem Blitz- schlag« trieb der Wind eine verheerende Feuersbrunst durch die Straßen. Am nächsten Morgen lagen 111 Wohnhäuser in Schutt und Asche. Als Bürgermeister organisierte Seydel den Wiederaufbau. Er ließ eine Ziege- lei errichten und durchstreifte auf der Suche nach Kalkstein die Umge- bung. Dabei stieß er im Tannengrund, einem unwegsamen und schwierig zu erreichenden Gelände, auf die Reste alter Bergwerksanlagen. Nun kam eins zum anderen. Seydel, der gerüchtweise von Gold- und Silberfun- den in der Region gehört hatte, fand in einem der verfallenen Schächte metallisch glänzendes Gestein. Erregt von der Aussicht auf raschen Ge- winn, erwarb er beim zuständigen Bergamt in Glashütte eine Förderkon- zession. Epitaph an der Nordwand der Radeberger Stadtkirche

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