Katalog
22 Partei und Verwaltung Martin Mutschmann und Manfred von Killinger Die »Führer der Provinz« Mi ke Schmeitzner Von »Lumpen« und »Ehrabschneidern« oder: NS-Führer vor dem Obersten NS-Parteigericht Es war wohl eines der bemerkenswertesten Verfahren der nationalsozialistischen Parteige- schichte, das da 1936/37 verhandelt wurde: Vor dem Obersten Parteigericht (OPG) der NSDAP standen sich gleich zwei maßgebliche »Führer der Provinz« 1 als Kläger und Beklagter gegenüber. Es handelte sich bei ihnen um keine Geringeren als den inzwischen mächtigsten Mann Sach- sens, Martin Mutschmann, der seit 1935 alle entscheidenden Partei- und Staatsfunktionen in Händen hielt (NS-Gauleiter, Reichsstatthalter, Ministerpräsident), und Manfred von Killinger, der im innerparteilichen Machtkampf mit Mutschmann sein Amt als Ministerpräsident verlo- ren hatte, aber als hoher SA-Führer und Reichstagsabgeordneter noch keineswegs als »Unper- son« bezeichnet werden konnte. Den Stein ins Rollen gebracht hatte im Sommer 1936 der sächsische »Gaufürst«, der in sei nem Antrag darum bat, »gegen Herrn von Killinger das Ausschlussverfahren aus der Partei einzuleiten«. Killinger habe Dritten gegenüber ihn – Mutschmann – als »Lump« und »Ehrab- schneider« bezeichnet und so seine »Ehre verletzt«. 2 Was hier als bizarrer Streit um Worte be gann, wuchs sich im Laufe des Parteiverfahrens zu handfesten Vorwürfen aus, die ein bezeich- nendes Licht auf den Charakter des Regimes und dessen Führer warf. Denn – anders als von Mutschmann vielleicht erwartet – begnügte sich Killinger nicht mit der Relativierung der von ihmerhobenen Vorwürfe. Er stellte beimOPG selbst den Antrag »auf Eröffnung eines Verfahrens […] gegen den Pg.Mutschmannmit demZiele denselben seiner Ämter zu entheben und ihn aus der Partei auszuschließen«. Als Gründe nannte er die »Beschimpfung und Verleumdung« seiner Person durch Mutschmann. 3 Einmal in Fahrt, zögerte Killinger nicht, alle relevanten Belastungen gegen seinen Wider sacher in Stellung zu bringen:Dawar die Rede von brutalen Übergriffen imLandtag (März 1933), von Eigenmächtigkeiten und Enteignungen, von Morden an politischen Gegnern und nicht zuletzt von »schwersten Verfehlungen« der Wachmannschaften im KZ Hohnstein (1933/34).
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