Katalog
Marti n Mutschmann und Manfred von Ki lli nger 23 Killinger machte Mutschmann persönlich verantwortlich für die dort erfolgte Folterung des vormaligen sozialdemokratischen Innenministers Hermann Liebmann, der seine früheren NS- kritischen Landtagsreden in Gegenwart Mutschmanns und »zumallgemeinemGaudium« hatte verlesenmüssen. Killingers Fazit war düster: »Der Nationalsozialismus wird nicht getragen von dem Vertrauen des Volkes, sondern stützt sich in Sachsen auf Furcht vor dem [Reichs-]Statthal- ter [Mutschmann].« 4 Die Reaktion des Angegriffenenwar bezeichnend genug: Zwar versuchten er und sein »Gau- beauftragter« viele Vorwürfe zu relativieren. Doch ließ er immer wieder durchblicken, dass er tatsächlich der Mann für die »härtere Gangart« war. Wie selbstverständlich ließ Mutschmann wissen, dass sogar Killingers Telefonanschlüsse durch die Gestapo überwacht worden waren, dass sich derselbe »schützend vor die gemaßregelten Juden stellte« und die von ihm (Mutsch- mann) geforderten »harten, notwendigen Maßnahmen« hintertrieb oder nur teilweise durch- führte. Seine Besuche im KZ Hohnstein bestätigte Mutschmann ebenso wie die Folterung des »SPD-Bonzen Liebmann«,wobei er davon abgeraten habe, »ihnweiter [!] zumisshandeln«. Seine Rechtfertigungsversuche machten nicht einmal vor demVorwurf des Lynchmordes halt. Wenn ein Renegat in der »Kampfzeit« der Bewegung in den Rücken falle, »dann ist er ein Todfeind der Bewegung und muss erwarten, dass die Bewegung ihn bei der Machtübernahme so behandelt, wie er es nach gesundem Volksempfinden verdient hat«. Killingers »Verleumdungen« erinner- ten ihn folgerichtig an das »Gehirn eines jüdisch-bolschewistischen Intellektuellen«. 5 Wenn man einmal vom »Niveau« dieser OPG-»Verhandlungen« absieht, bleiben vor allem zwei Dinge erwähnenswert: einerseits die brutale Offenherzigkeit, mit der besonders Mutsch- mann seine Herrschaftspraxis zu legitimieren versuchte, andererseits die vorgeblicheMilde, die sein Gegenspieler Killinger zu verströmen schien. Es wird im Folgenden zu klären sein, inwie- weit sich beide Protagonisten bei der Durchsetzung der Diktatur in den Vorgehensweisen und Methoden tatsächlich unterschieden. Das Verfahren, von dembereits die Rede war, verlief indes im Sande, obwohl eine Klärung »im Interesse der Stellung der beiden Beteiligten und des Anse- hens der Partei« beim OPG erwünscht schien. Hitler selbst hatte jedoch mit der beruflichen Weglobung Killingers in den Auswärtigen Dienst des »Dritten Reiches« für eine ganz praktische Klärung der Fronten gesorgt. Wegen der nunmehrigen »räumlichen Entfernung« Killingers (er wurde Generalkonsul in San Francisco) musste das Verfahren Ende 1937 ausgesetzt werden. 6 Karrierewege zweier Rechtsextremisten Die Karrierewege der beiden Protagonisten sind inzwischen weitgehend bekannt. 7 Beide ent- stammen derselben Alterskohorte undwurden spätestens während der Nachkriegskrise (1919 – 1923) politisch entscheidend geprägt. Von der sozialen Herkunft her unterschieden sie sich jedoch gravierend,wobei sie auch in dieser Hinsicht zwei verschiedene Rekrutierungsfelder des späteren NS-Führungskorps personifizierten. Während der 1879 geborene Mutschmann aus proletarisch-kleinbürgerlichen Verhältnissen kamund von Anfang an darauf bedacht war, sozial aufzusteigen, versuchte der 1886 geborene Killinger die prekäre landwirtschaftliche Welt des niederen Adels rasch hinter sich zu lassen. Auf die Fortführung des elterlichen Gutes bei Nossen legte er keinen Wert; vielmehr strebte er in jungen Jahren zum Militär. So absolvierte er eine Kadettenausbildung und wurde später Seekadett in der kaiserlichen deutschen Marine, dann – nach demBesuch der Offiziersschule inWilhelmshaven – Oberleutnant zur See auf Torpedoboo- ten und Kreuzern.Mutschmanns Karriere bewegte sich dagegen in bürgerlichen Bahnen: In der
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