Katalog
28 Partei und Verwaltung nicht vor Synagogen-Schändungen zurückgeschreckt war, betätigte sich fortlaufend als antise- mitischer Hassprediger. Kaum eine seiner Reden kam ohne stereotype verschwörungstheore- tische Plattitüden und Gewaltandrohungen aus. Den antisemitischen Boykott-Tag imApril 1933 bezeichnete er als »Generalprobe« für Schlimmeres: »Das nächsteMal geht es nicht so gemütlich zu. […] Wenn man einen Feind schlägt, dann muss man ihn vernichten.« 26 Im Gegensatz zu Killinger versuchte er von Anfang an und mit persönlichem Eifer die Existenzgrundlagen von Juden oder jüdisch herkünftigen Deutschen (wie Victor Klemperer und Georg Gradnauer) zu zerstören. Hasskampagnen zur »Entjudung« Dresdens führte er gemeinsam mit dem Juden- Hetzer Streicher durch, und noch 1944 drängte er den SS-Chef Heinrich Himmler, die »Endlö- sung« auch zu Ende zu bringen. 27 Persönliche Willkür zeigte sich ebenso bei der Verfolgung und Demütigung von politischen und religiösen Gegnern:Über den Fall Liebmann hinaus sorgte er 1935 – imGegensatz zur reichs- weiten Praxis – für die Überstellung von 19 Pfarrern der evangelischen Bekennenden Kirche ins KZ Sachsenburg. Die Geistlichen hatten sich in einer Kanzelabkündigung gegen die germanisch- religiöse Deutsche Glaubensbewegung gewandt. Bezeichnend für Mutschmann war, dass er Ernst Lewek, den er noch aus Plauen kannte, als »Rädelsführer« der Pfarrerfronde erkannt haben wollte, obwohl dieser keinesfalls als solcher gelten konnte. Doch das störte Mutschmann nicht, war für ihn doch entscheidend, dass Lewek jüdische Wurzeln hatte und so die Verschwörungs- vorstellungen des »Sachsenführers« zu bestätigen schien. 28 PersönlicheWillkür übteMutschmann aber nicht nur gegen politische und religiöse Gegner, selbst die eigenen Partei- und Verwaltungsspitzen blieben von seinen cholerischen Ausfällen und persönlichmotivierten Säuberungsaktionen nicht verschont. Schlüsselfunktionen in Regie- rung und Verwaltung besetzte er meist mit servilen Gefolgsleuten, die häufig fachlichen Ansprü- chen nicht genügten. Die noch imMai 1933 zuMinistern berufenen Karl Fritsch und Georg Lenk sind dafür Paradebeispiele; umgekehrt belegen sie aber auchMutschmanns Praxis, selbst eigene Parteigänger urplötzlich fallen zu lassen – wie die Fälle Fritsch und Lenk im Jahr 1943. Oftmals reichte es aus, wenn Oberbürgermeister (wie Ernst Zörner in Dresden) populärer zu werden drohten als der »Sachsenführer« oder ihm aber als vermeintliche Konkurrenten zu gefährlich erschienen. Seine eigene Absetzung durch Mutschmann kommentierte Zörner denn auch 1937 mit einer Denkschrift an die Parteispitze, in der es hieß, dass Sachsen keinen Anspruch erheben könne, ein »Rechtsstaat« oder gar ein »Staat der Ehre zu sein«. Wer sich in diesem Land als »ein Charakter erweise«, werde »verfolgt und gedemütigt«. 29 Wenn sich also selbst langjährige NS-Funktionäre über den Provinzdespotismus des »Sach- senführers« mokierten, bleibt die Frage zu beantworten, weshalb sich Mutschmann über einen so langen Zeitraum unangefochten behaupten konnte. Die rabiate Verdrängung von vermeint- lichen und tatsächlichen Konkurrenten ist nur eine Erklärung, eineweitere hat mit seinemengen und frühen Vertrauensverhältnis zu Hitler zu tun; sein fanatischer Rassismus und Antisemitis- mus und sein Organisationsgeschick ließen ihn selbst in Kriegszeiten als unersetzbar erschei- nen. In Sachsen selbst profilierte sich Mutschmann seit 1936 mit der Schaffung eines »Heimat- werks Sachsen« und einer damit verbundenen Sachsenpropaganda nicht nur als »150-prozenti- ger Nationalsozialist, sondern auch 250-prozentiger Landesfürst«. Der von ihm – auch gegen die Berliner Zentrale – beförderte »Sachsenstolz« imponierte zudemnicht wenigen »Untertanen von ›König Mu‹«, die über dessen sonstige Befähigungen eher die Nase rümpften. 30
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