Katalog

Hermann J ensen und Alois Boehm 145 heiten und ärztlichen Erfahrungen zu erfassen, dass diese aber dennochwichtig für die ärztliche Praxis seien. 3 Außerdemverunsicherten die Erfolge alternativer Heilweisen die Ärzte. Sie waren einem erhöhten Konkurrenzdruck ausgesetzt und sahen sich zugleich in großer Abhängigkeit von den Krankenkassen. Deshalb forderten sie sowohl eine größere Autonomie bei der Thera- piewahl aus verschiedenenmedizinischen Konzepten als auch ein Zurückdrängen des Einflusses der Krankenkassen. Die Nationalsozialisten griffen den bereits von biologistisch orientierten Ärzten benutzten Begriff einer Neuen Deutschen Heilkunde auf. 4 Sie versprachen eine Synthese der Schulmedizin mit den für effektiv befundenen alternativen Therapieverfahren. Damit sollte der Arzt zum alleinigen Gesundheitsführer seiner Patientenwerden,Wissen über eine gesunde Lebensweise sowie erbbiologisches und rassenhygienisches Gedankengut nicht nur verbreiten, sondern dessen Umsetzung auch kontrollieren und steuern können. Den Ärzten wurden also weitrei- chende Möglichkeiten der Prophylaxe und Therapie, aber auch eine exklusive Position in Aus- sicht gestellt. Das Rudolf-Heß-Krankenhaus sollte in diesem umfassenden Sinn zu einem Zentrum der Neuen Deutschen Heilkunde entwickelt werden. Während einer vorbereitenden Besprechung der Reichsärzteführers GerhardWagner mit Vertretern der Stadt sowie der NS-Volksgesundheit am9.Mai 1934 wurde deshalb festgelegt: »Die Neuheit, Vielheit und – teilweise – weltanschau- liche Bedingtheit und politische Bedeutung der […] Maßnahmen und Einrichtungen erfordert unbedingt Zusammenfassung der Leitung in einer Hand. Dafür kann nur in Betracht kommen ein ausgezeichneter ärztlicher Fachmann, der zugleich große Erfahrung imKrankenhausdienst und in der Heranbildung von Schwestern im Geiste der Braunen Schwesternschaft besitzt und der ferner altbewährter Nationalsozialist ist.« 5 Diese Beschreibung traf in besonderem Maße auf Hermann Jensen zu. Hermann Johann Hans Jensenwurde am 30. April 1895 in Schleswig geboren. Er studierte in Kiel Medizin und bestand dort 1917 das Physikum. Als aktives Mitglied der Landsmannschaft »Troglodytia« 6 folgte er deren Wahlspruch »Ne feriare feri – Sei Hammer, nicht Amboss«. Nach Ableistung des Kriegsdienstes setzte er sein Studium fort. 1920 wurde Jensen die ärztliche Approbation erteilt und an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Kiel promo- viert. Möglicherweise haben seine Heirat mit Charlotte Dorothea Marie Pabst und die Geburt ihres ersten von drei gemeinsamen Kindern imOktober 1921 ihn veranlasst, sich rasch als prak- tischer Arzt niederzulassen. 7 Von 1921 bis 1927 war er als Arzt in eigener Niederlassung in Süder- hastet (Holstein) tätig und soll bereits hier von der Gemeinde ein Haus mit sechs bis acht Betten für chirurgisch Kranke zur Verfügung erhalten haben. 8 Jensen entschloss sich 1928, eine fach- ärztliche Ausbildung für Chirurgie zu absolvieren und arbeitete deshalb seit dem 1. September als Volontärarzt und seit dem 1. April 1929 als Assistenzarzt an der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses Hannover 1 (Nordstadtkrankenhaus). Jensen trat am 1.Mai 1928 der SA 9 und schon vor 1933 auch der NSDAP sowie dem NSD-Ärz- tebund (NSDÄB) bei. Bereits 1932 erzwang er den Eintritt ihm unterstellter Mitarbeiter in die NSDAP unter Androhung ihrer Entlassung. 10 Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozia­ listen wurde Jensen zumOberarzt ernannt. Ein Zeitzeuge berichtete: »Bei der Machtübernahme durch die N.S.D.A.P. im Jahre 1933 stellte sich der Oberarzt der Chirurgischen Abteilung […] an die Spitze der Ärzteschaft.« Sein persönliches Fortkommen scheint also eine Folge seines politischen

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