Katalog

Einführung  11 Hauptthema der vorliegenden Abhandlung ist die Porzellanlithophanie , ein transparentes Tiefenreliefbild mit photorealistischem Charakter. Ver- glichen wird es oft mit der Wirkung einer in Clair-obscur-Technik entstan- denen Darstellung. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Biskuit- porzellan, dann auch aus anderen transparenten Werkstoffen wie Glas, Papier, Elfenbein, Horn, Wachs, Seife, Plastik usw. hergestellt, steht die Lithophanie in der Tradition bereits vorher bekannter Lichtschutzvorrich- tungen aus meist nicht transparenten Materialien. Als durchscheinendes Bildmedium gehören Lithophanien zur Gruppe der Transparenzen. Diese wiederum sind Teil der Vorgeschichte von Photographie und Film. Das Kunstwort »Lithophanie« hat seinen Ursprung in der altgriechi- schen Sprache. Es erklärt sich aus dem Substantiv lithos = Stein und dem Infinitiv phainein = leuchten, (er)scheinen (sichtbar machen) – und be­ deutet in freier Übersetzung »Leuchtender Stein«. Weitere in der Literatur gebräuchliche Bezeichnungen lauten: Porzellanlichtbild, Porzellantrans- parenz, Lichtschirmbild, Biskuitreliefbild, Porzellandiaphanie und Photophanie. Der englische Sprachraum benutzt die Begriffe »lithophane« und die inkorrekte Bezeichnung »lithopane«, »porcelain transparency«, »bis­ que-« oder »parian-picture«, »translucent embossment« und, in Anlehnung an die aus der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) stammenden Exporterzeugnisse »Berlin transparency« und »Berlin night screen«. Andere Länder lehnen sich an diese Begriffe an: Belgien und die Niederlande »lithophanie«, »transparentje«, »dia in biscuit« – Dänemark »lithophani« und »diafanplade« – Italien »litofanie« – Norwegen »litofa- nier« – Portugal und Spanien »litofania« – Schweden »litofani« – Ungarn »litofán« – und Russland übersetzt »Biscuitlichtschirm«. Die erste Nennung des Begriffs »Lithophanie« findet sich in der fran- zösischen Patenterteilung vom 13. Januar 1827 des fälschlich als Erfinder gesehenen Charles-Paul Amable de Bourgoing (1791 – 1864). Daraus ist abzuleiten, dass Bourgoing als Schöpfer des Wortes »Lithophanie« gelten muss. Im deutschen Sprachraum waren vorerst andere Bezeichnungen üblich: Bei der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin hieß es »porzellane transparente Lichtschirmplatten«, bei der Porzellanmanu- faktur Nymphenburg » Lichtbilder«, bei der thüringischen Porzel- lan-Manufactur Schierholz Plaue »transparente Lichtschirme«. Nur die sächsische Manufaktur Meissen verwendete von Anfang an den Begriff »Lithophanie« bzw. »lithophanische Lichtschirmplatten«. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass hier frühe französische Preis­ courants und Musterplatten zur Verfügung standen. Der in einigen englischen und französischen Publikationen genannte Begriff »intaglio« (vertiefter Steinschnitt) oder »so-called lithophanes« (»sogenannte Lithophanien«) soll für Lithophanien stehen, die nicht über den künstlerischen und handwerklich aufwendigen bildgebendenWachs­ modellprozess entstanden. Hier ist das Relief, zum Teil mittels Model, direkt in die Gipsform eingebracht. Zur Erzeugung einer Lithophanie ist die Herstellungsweise jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. Bereits Bourgoing benutzte eine vom KPM-Verfahren abweichende ver- einfachte Technik. In seinem ersten Patent beschrieb er die zusätzliche Verwendung von Schablonen, die er in das Wachs eindrückte, und den Einsatz »[…] einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien […]«. Der oft zitierte Einwand, der Begriff »Lithophanie« dürfe generell nur für Objekte gelten, deren Urform aus Wachs und deren Abgüsse aus Porzellan gestal- tet wurden, ist nicht zutreffend und auch durch Bourgoing’s Patentschrift nicht belegt. Das vorliegende Buch behandelt daher auch Lithopanien aus anderen Materialien sowie verwandte lithophane Objekte und soge- nannte Pseudolithophanien. Eine seltene Variante ist die Glaslithophanie , ebenfalls ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Hier ist das Bild in einen oder mehrere übereinander liegende verschiedenfarbige Glasüberfänge von Hand unterschiedlich tief eingeschnitten (»Lithophanieschnitt«). Einfarbige tiefgeschnittene oder gepresste Gläser werden dagegen nicht als Lithophanien bezeichnet. Eine umMitte des 19. Jahrhunderts auf demMarkt erschienene andere Art der Lithophanie ist die Papierlithophanie . Unter diesem Begriff sind zwei unterschiedlich gestaltete Papiertransparenzen einzuordnen: die Papyrophanie und die Papyrographie. Die Herstellung der Papyrophanie erfolgt über eine unterschiedlich dicke Reliefprägung in Papiermaché. Bei der Papyrographie formen schichtweise übereinander montierte transpa- rente Papierschnitte das Bild. Die Lithoponie , auch Èmail Ombrant oder nach ihrem ersten Produk- tionsort Émail de Rubelles bzw. Faience de Rubelles genannt, beruht auf historischen Verfahrensweisen. Neu ist hier lediglich die betonte »Weiter- entwicklung der Lithophanie«. Hervorgehoben als »keramische Besonder- Einführung Abb. 1 Lithophanie in Kathedralglasrahmung   KPM 268 »L’Algerienne« Platte ca. 27,2×36,0 cm · EA 1842  – → Objektbeschreibung S. 106

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1