Otto Dix DER KRIEG – Das Dresdner Triptychon
Otto Dix DER KRIEG – Das Dresdner Triptychon Herausgegeben von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Birgit Dalbajewa / Simone Fleischer / Olaf Peters SANDSTEIN VERLAG
Inhalt 7 Vorwort Hartwig Fischer 11 Leihgeber / Dank Im Krieg 14 Simone Fleischer Der Künstler und der Krieg Die Frontstationen von Otto Dix im Ersten Weltkrieg im Kontext historischer Daten und der Truppenbewegungen des XII. Reservekorps der 3. (königlich-sächsischen) Armee 35 Bernd Ulrich »Dann gehts wieder in die schöne Läuse-Schlampagne« Otto Dix im Ersten Weltkrieg 47 Olaf Peters Die Erfahrung des Krieges 1914 - 1918 54 Otto Dix Zeichnungen und Gouachen 1914 – 1918 Nach dem Krieg 71 Birgit Dalbajewa / Olaf Peters Die Auseinandersetzung mit dem Krieg 1918 - 1924 84 Otto Dix Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde 1920–1924 96 Bernhard Maaz Otto Dix’ »Kriegsverletzter« Zu einer Neuerwerbung des Dresdner Kupferstich-Kabinetts 98 Otto Dix Aus dem Radierzyklus »Der Krieg« 1924 109 Francisco de Goya Aus dem Radierzyklus »Los Desastres de la Guerra« 111 Gerd Krumeich Konjunkturen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik 121 Simone Fleischer »Helft uns siegen!« Plakat-Propaganda während und nach dem Ersten Weltkrieg
219 Marlies Giebe / Maria Körber »…weil Dix hier malt wie ein Alter Meister und dabei doch ganz er selbst geblieben ist.« Maltechnische Studien zum Triptychon »Der Krieg« von Otto Dix 253 Birgit Kurz Der »Grabenkrieg« – maltechnisch gesehen 259 Birgit Dalbajewa Das Triptychon »Der Krieg« in der DDR Der Ankauf für Dresden 270 Otto Dix über den Krieg Ausgewählte Aussagen des Künstlers aus den Jahren 1947–1968 Anhang 278 Abkürzungen 279 Autoren 280 Bibliographie 287 Bildnachweis 288 Impressum 125 Thomas F. Schneider »Sie werden auferstehen!« Otto Dix’ Triptychon »Der Krieg« im Kontext zeitgenössischer visueller und literarischer Repräsentationen des Ersten Weltkrieges Das Dresdner Triptychon 139 Olaf Peters Eine Summe des Krieges Otto Dix’ Triptychon »Der Krieg« (1929 – 1932) 160 Otto Dix Vorzeichnungen zum Triptychon »Der Krieg« 169 Olaf Simon Wege zum Bild – die Kartons 174 Otto Dix »Der Krieg« – Karton und Gemälde 178 Linker Flügel 186 Mitteltafel 202 Rechter Flügel 210 Predella
14 Für die Chronologie wurden sowohl die persönlichen Dokumente von Otto Dix aus seiner Kriegszeit als auch Unterlagen zu den einzelnen Truppenteilen, in denen er stationiert war, ausgewertet. Zum Reserve-Infanterie-Regiment 102 (RIR 102) sowie zur 3. (königlich-sächsischen) Armee liegen detaillierte Veröffentlichungen aus der Zwischenkriegszeit vor, die aus heutiger Sicht in ihren jeweiligen Kommentierungen sicher kritisch zu bewerten sind. Als wesentliche Sekundärquellen zur Truppenbewegung boten sie jedoch die Grundlage, Daten in Dix’ Kriegsbiographie zu konkretisieren. Gesichtet wurden des Weiteren Akten zum Ersten Weltkrieg im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden (HStADD, Bestände 10716 – Haus Wettin, 11356 – Generalkommando XII. Reservekorps, 11359 – Infanteriedivisionen, -regimenter, -bataillone). Der Bestand hat 1945 durch Brand große Verluste erlitten, sodass heute hauptsächlich Unterlagen zu den Armee- und Reservekorps vorliegen, in denen sich konkrete Hinweise zu Otto Dix und seinen Einheiten finden ließen. Die Akten zu einzelnen Regimentern sind sehr lückenhaft, eigenständige Akten zum Feld-M.G.-Zug 390 und zum RIR 102 sind nicht mehr vorhanden. Für Ratschläge und Hinweise bei der Recherche danke ich Bernd Ulrich, Juliane Au und Gisela Petrasch. Folgende Quellen wurden verwendet – zum Zwecke der Lesbarkeit werden, bis auf Angaben zu einzelnen Akten in den verschiedenen Archiven, alle Nachweise durch die unten aufgeschlüsselten Buchstaben, bei direkten Zitaten mit Seitenzahl, vermerkt. A Stiftung Sammlung Walther Groz, Kriegstagebuch von Otto Dix, 1915/16, Galerie Albstadt, Städtische Kunstsammlungen, Inv.-Nr. SWG 79/206. B Militärpass Otto Dix, GNM Nürnberg, DKA, Nachlass Otto Dix, I, A, 2. C Max Trümper-Bödemann, Das Königl. Sächs. Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 102, Chemnitz 1929 (= Erinnerungs- blätter deutscher Regimenter. Ehemalige Kgl. Sächs. Armee, Heft 57). D Artur Baumgarten-Crusius, Sachsen in großer Zeit. Geschichte der Sachsen im Weltkrieg, Band II, Leipzig 1920. E Artur Baumgarten-Crusius, Sachsen in großer Zeit. Geschichte der Sachsen im Weltkrieg, Band III, Leipzig 1921. F Der Feldgraue. Leitfaden für den Dienstunterricht der MaschinengewehrFormationen unter Berücksichtigung der Kriegserfahrung. Ausgabe für Sachsen, Oldenburg i. Gr. 1917, S. 216. G Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009. Der Künstler und der Krieg Die Frontstationen von Otto Dix im Ersten Weltkrieg im Kontext historischer Daten und der Truppenbewegungen des XII. Reservekorps der 3. (königlich-sächsischen) Armee Simone Fleischer H Dietrich Schubert, Otto Dix – in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1980. I Ulrike Rüdiger, Grüße aus dem Krieg. Feldpostkarten der Otto-Dix-Sammlung in der Kunstgalerie Gera, Gera 1991. J Dietrich Schubert, Otto Dix – Der Krieg. 50 Radierungen von 1924, Marburg 2002. K Ulrike Lorenz, »Frontschwein« im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918, in: Otto Dix. Welt & Sinnlichkeit, Ausst.-Kat. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen 2005/06, hg. v. Ulrike Lorenz, Regensburg 2005, S. 30 – 41. L Otto Griebel, Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines Dresdner Malers, Altenburg 1995 (2. Auflage). M Otto Dix, Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik. Bestandskatalog der Kunstsammlung Gera, hg. v. Ulrike Rüdiger, München u. a. 1996. N Ulrike Lorenz (Hg.), Otto Dix. Briefe, bearb. u. kommentiert von Gudrun Schmidt, Köln 2013. Abkürzungen in den zitierten Quellen Batl. Bataillon bayr. bayerisch Batl. Kdr. Bataillons-Kommandeur Bhf. Bahnhof Div. Division Gen. General Hptm. Hauptmann I. R. Infanterie-Regiment Komp. Kompanie(n) Laz. Lazarett Lt. Leutnant M.-G. Maschinengewehr R. Res. Regiments-Reserve R. Stab Regimentsstab Res. I. R. Reserve-Infanterie-Regiment Res. K. Reservekorps San. Dienst Sanitäts-Dienst Se. Maj. Seine Majestät Utffz. Unteroffizier(e) Bedeutung von Hervorhebungen * Erläuterungen ➜ Verweise auf Blätter aus Dix’ Radierzyklus »Der Krieg« (1924), die mit Orten, Ereignissen und Erlebnissen in Zusammenhang stehen
15 1914 28. Juni Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau in Sarajevo. (G) 28. Juli Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg. (G) Generalmobilmachung in Österreich-Ungarn, Russland, Belgien und Frankreich. (G) Kriegserklärung Deutschlands an Russland (1. August) und Frankreich (3. August), Großbritanniens an Deutschland (4. August), Österreich-Ungarns an Russland, Serbiens an Deutschland (6. August), Frankreichs und Großbritanniens an Österreich-Ungarn (12. August). (G) August Die deutschen Armeen liegen vor der belgischen und französischen Grenze, die 3. (königlich-sächsische) Armee, in der Dix später stationiert ist, steht mit drei Korps (XII. und XIX. Armeekorps und XII. Reservekorps) bei Prüm vor der belgischen Grenze. Belgien wird besetzt, Brüssel am 19./20. August eingenommen. Im August dringen die deutschen Armeen bis an die französische Aisne vor. (D, S. 15, 17) 22. August Dix wird als Ersatz-Reservist regulär zum Militär eingezogen. (B / I / K) * Bis in die jüngste Zeit wird in der DixLiteratur häufig falsch angegeben, Dix habe sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet. Laut Militärpass ist Dix Ersatz-Reservist. Das bedeutet, dass er vermutlich 1911/12 gemustert und der Ersatzreserve überstellt wurde. Im Kriegsfall wurden Ersatz-Reservisten schnell eingezogen. Vgl. dazu eine Postkarte aus Dresden an die Eltern (1911): »Habe mich vom Militär zurückstellen lassen« (N, S. 39), sowie seine späteren Aussagen: »Aug. 1914 wurde ich zum Militär eingezogen.« (handschriftlicher Lebenslauf, um 1924, Privatbesitz, hier zit. n. K, S. 22); »Im August 1914 wurde ich zum Militär einberufen.« (Lebenslauf, 6.3.1950, GNM Nürnberg, DKA, Nachlass Otto Dix, I, B, 6) Ausbildung im 1. Rekruten-Depot, Feldartillerie-Regiment 48, Dresden. (B / I / J / K) 5. September Vereidigung. (B) 18. Oktober Dix wird in das 3. Rekruten-Depot, Feldartillerie-Regiment 12, in Dresden versetzt. (B / I / K) Bei der Feldartillerie in Dresden erhält er eine Ausbildung an der Schweren Feldhaubitze SFH 02. (H) 20. Oktober bis Mitte November Erste Flandern-Schlacht; die Westfront erstarrt im Stellungskrieg. (G) 8. Dezember bis 17. März 1915 Erste Champagne-Schlacht. (G) 1915 12. Februar Dix wird zur 2. Ersatz-Batterie 12, ReserveInfanterie-Regiment 102, versetzt und kommt nach Bautzen. (B / H / I / J / K) Ausbildung zum Schützen am Schweren Maschinengewehr M.G.08 (B / H / J), daneben Kriegsausbildung an der Pistole 08 und dem Gewehr 98. (B) April / Mai Zweite Flandern-Schlacht; deutscher Einsatz von Giftgas. (G) 15. Mai Versetzung in die 2. Ersatz-MaschinenGewehr-Kompanie XII, Reserve-InfanterieRegiment 102 Bautzen. (B / I / K) 9. September Geheime Anordnung des Kriegsministeriums, Dresden, Nr. 2334 I M.: »Es sind mit möglichster Beschleunigung weitere Feld-M.G.-Züge aufzustellen und in das Feld zu senden, und zwar: vom stellv. Generalkommando XII. A. K.: […] Zug Nr. 390 für Res.Jäger-Bataillon Nr. 12 […] Vom Tage der Marschbereitschaft ab gelten die Züge als mobil. Tag der Abbeförderung ist zu drahten (am Orte mitzuteilen) an: […] Bezüglich der Züge Nr. 390 und 391 dem Generalkommando des XII. Reservekorps.« (HStADD, Bestand 11356, 257) 17. September Dix wird zum etatmäßigen Gefreiten ernannt. (B / I / J) Abb. 1 Schlachtfeld mit Stacheldraht Photo aus: Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege! (Bd. 1, 1924) Abb. 1
16 21. September Dix tritt in den Feld-M.G.-Zug 390 ein und rückt an die Westfront aus. (B / I / K) Ob er sich freiwillig meldet oder abkommandiert wird, geht aus den Quellen und Selbstaussagen nicht eindeutig hervor. * Der Feld-M.G.-Zug 390 war eine neu formierte Einheit, die vermutlich relativ unabhängig von einzelnen Regimentern dem XII. Reservekorps unterstellt war und je nach Bedarf eingesetzt wurde. Die 3. (königlich-sächsische) Armee ist weiterhin in der Champagne südlich der Aisne stationiert. (D, S. 193) 21. September bis 14.Oktober Zweite Champagne-Schlacht (Herbstschlacht). (G) Beginn des gegnerischen Trommelfeuers am 22. September: »Am 22. September früh 7 Uhr begannen plötzlich Tausende von französischen Geschützen ihren Eisenhagel auf die deutschen Stellungen zu schleudern, Waldstücke vernichtend, Dörfer wegfegend, das Gelände auf 30 Kilometern Breite buchstäblich zerpflügend. Die deutschen Stellungen, in monatelanger, mühsamer Arbeit geschaffen, verschwanden unter dem feindlichen Massenfeuer. Nicht weniger als 180000–200000 Schuß gingen an einem Tage auf die Abschnitte einzelner Divisionen nieder. Ein einziger Schuß aus einem französischen 28 cm-Mörser riß Trichter von 5 – 6 Meter Tiefe und Breite.« (D, S. 246) Die französische Großoffensive greift auf der gesamten Front an und beabsichtigt, die deutschen Truppen kriegsentscheidend zu schlagen. Die Deutschen können jedoch die Stellungen weitestgehend halten. (G) Das XII. Reservekorps liegt zwischen Pont Faverger und Somme-Py an der Suippe, die 23. Reserve-Division westlich, die 24. östlich. (D, S. 242 / vgl. Karte Abb. 2) 25. September bis 3. November Dix kämpft im Feld-M.G.-Zug 390 in der Zweiten Champagne-Schlacht. (B / I / J / K) ➜ »Der Krieg« (1924) »Relaisposten (Herbstschlacht in der Champagne)« (Mappe 1, Blatt VIII, Karsch 1970,77) »Gefunden beim Grabendurchstich (Aubérive)« (Mappe 3, Blatt IX, Karsch 1970,98) »Die Irrsinnige von St. Marie-à-Py« (Mappe 4, Blatt V, Karsch 1970,104 II) »Tote vor der Stellung bei Tahure« (Mappe 5, Blatt X, Karsch 1970,119) 27. September »Und die Schlacht tobte weiter. Wie ein urgewaltiges Rollen dröhnte es Tag und Nacht, Tag und Nacht … Die Erde bebte, und ein breiter Geländestreifen lag wie lange schon blitzedurchzuckt in Qualm und Staub, in Rauch und Giftwolken gehüllt. Granaten schlugen ein und warfen Erd- und Steinmassen, Holz, Eisen und Draht – alles, alles gegen den düsteren Herbsthimmel der Champagne. Überall ein Heulen, Krachen, Schreien – die Hölle war los.« (C, S. 59) 12. bis 18. Oktober Der Feld-M.G.-Zug 390, in dem die Gefreiten Baumann, Dix und Hein als Gewehrführer Dienst tun, beteiligt sich am Sturm auf das »Franzosennest«, das am 15. Oktober genommen wird. (C, S. 62) * Das sogenannte »Franzosennest« befand sich östlich von Aubérive. Hier gelang es den französischen Truppen, sich durch einen Angriff in den deutschen Linien festzusetzen (vgl. HStADD, Bestand 11359, Akten 4133 u. 4135, sowie »Letzte Kriegsnachrichten«, Liller Kriegszeitung, Nr. 318, 17.10.1915). Aufgrund dieser und früherer Taten werden die drei Gefreiten für das Eiserne Kreuz 2. Klasse vorgeschlagen: »Die Gefreiten Abb. 2
17 Baumann, Dix, Hein, haben infolge der Erkrankung der 3 Unteroffiziere des Zuges seit dem 28.9.15 als Gewehrführer Dienst gethan und sich mit großem Fleiße die Fähigkeiten eines tüchtigen [?] Gewehrführers angeeignet. In den Gefechtstagen vom 30. 9 – 4. 10. bei der 24. Res. Div. brachten sie mit großem Geschick ungeachtet starken Artilleriefeuers ihre Gewehre in Stellung. In der Zeit vom 12. – 18.X. zeichneten sie sich dadurch aus, daß sie bei dem Angriffe auf das Franzosennest unter schwierigen Verhältnissen die Gewehre in Stellung brachten, um einen feindlichen Gegenstoß abzuweisen. Frhr. von Friesen, Leutnant und Zugführer«. (Ordensvorschläge des Feld-M.G.-Zuges 390, ohne Datum, HStADD, Bestand 11356, 191) 1. November Dix wird zum etatmäßigen Unteroffizier ernannt. (A / B / I / J / K) Die Ernennung findet sich auch in den Akten des HStADD (Bestand 11356, 227), dort heißt es: »Unteroffizier Ersatz-Reservist«. November 1915 bis Ende Juli 1916 Das XII. Reservekorps bleibt in der Champagne stationiert. Mitte November wechseln die 23. und 24. Reserve-Division des XII. Reservekorps die Stellungen, sodass die 23. Reserve-Division nun östlich der Suippe liegt. (D, S. 261 / vgl. auch C, S. 64) Dix’ Militärpass verzeichnet Stellungskämpfe in der Champagne zwischen dem 4. November 1915 und dem 17. Juli 1916. (B / I / K) Seine Einheit ist zwischen Aubérive, Bétheniville, St. Souplet und St. Martin an der Suippe, südlich der Aisne stationiert. (vgl. Karte Abb. 2) 7. November Otto Dix vermerkt in seinem Kriegstagebuch einen Einsatz: »Mit 2 Mann an vord.[erer] Sappe« sowie die Maße eines wahrscheinlich ausgehobenen Tunnels: »8 – 10 mtr. tief 60 – 70 m lang«. Für 8 Uhr früh notiert er die Ankunft in Bétheniville. (A, S. 10) * Als Sappe werden die oberirdischen Annäherungsgräben an die feindliche Front bezeichnet. Sie werden aus dem eigenen Graben vorgetrieben, der Endpunkt heißt Sappenkopf. (F) 9. November Dix vermerkt im Kriegstagebuch: »Mühle Souplet / Reg. Reserve / am 9. Nov. […?] / alte Stellung / links Aubérive«. (A, S. 11) 11. November »Liebe Lili! Tausend Dank für das Päckchen. Wir liegen zwischen St. Souplet u. Aubérive vorläufig noch in Regimentsreserve. Die Zigaretten sind sehr gut! Heute am 11. soll doch Frieden sein? Wir merken hier nichts davon. […] Mit den Leuten bin ich selbstverständlich ›nett‹ solange sie unbedingt gehorchen. Ich grüße Sie herzlich Ihr Dix«. (Feldpostkarte an Lili Schultz, 11.11.1915, Otto Dix Stiftung, Vaduz / Otto-Dix-Archiv, Bevaix) 12. November Dem Vorschlag zur Ordensverleihung wird stattgegeben und Dix mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet. (A / B / I / J / K / vgl. dazu auch Ordensvorschläge des Feld-M.G.-Zuges 390, ohne Datum, HStADD, Bestand 11356, 191). * Das Eiserne Kreuz wurde 1813 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. gestiftet. Kaiser Wilhelm II. erneuerte die Stiftung im August 1914. Durch zahlreiche Verleihungen wurde aus der eigentlich preußischen eine deutsche Auszeichnung. 17. November Dix vermerkt den Erhalt dieser Auszeichnung in seinem Kriegstagebuch: »am 17. Nov. das / Eiserne II. Kl. / erhalten. Verleihung / am 12. Nov.« (A, S. 13) Der König von Sachsen besucht die Front und trifft in Bétheniville Vertreter der 23. ReserveDivision, unter anderem eine Abordnung des 102. Reserve-Infanterie-Regiments. In seiner Ansprache dankt er den Truppen: »Nach den schweren Kämpfen der letzten Wochen ist es Mir eine große Freude, […] Abordnungen der […] Truppenteile der 23. Reserve-Division zu begrüßen. Wir haben in diesen Tagen der furchtbarsten Kämpfe unserer Armeegeschichte mit Stolz von den Heldentaten unserer Armee gehört […], die das XII. Reservekorps durchgefochten hat. Deshalb freue Ich Mich Abb. 3 Abb. 2 Frontlinie in der Champagne September 1915 / Karte aus: F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas zur Alten, Mittleren und Neuen Geschichte (1917) Abb. 3 Deutsche Artillerie in den Kämpfen in der Champagne / Vermutlich Aufnahme einer Übung / 1917 / Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr. DO 75-289I (1915)
18 außerordentlich, die Leute […] vor Mir zu sehen, die das Franzosennest aufgehoben haben […]. Um Meinen Dank auch äußerlich auszudrücken, habe Ich einige Auszeichnungen verliehen.« (Ansprache an die 23. ReserveDivision, 17.11.1915 in Bétheniville, Kriegstagebuch Friedrich August von Sachsen, S. 52, HStADD, Bestand 10716, 611 / vgl. C, S. 65) 21. – 23. November Dix vermerkt in seinem Kriegstagebuch: »am 21 – 23. Nov. in Hilaire«. (A, S. 13) 24. November bis 7. Dezember Wegen einer Erkrankung wird Dix nach Bétheniville in das Reserve-Feldlazarett 4 überwiesen. (B / I / K) Dix notiert im Kriegstagebuch: »am 25. im Lazarett«. Anschließend notiert er den ersten Teil von Soldatenbegriffen und deren Bedeutung. Der »Nachttopfschwenker« ist demnach der Sanitäter. Nach einer Auflistung der Einsatzmöglichkeiten von Aspirin und Rizinusöl vermerkt er als Entlassungsdatum den 7. Dezember. (A, S. 14, 15) * Im Etappendorf Bétheniville waren das Stabsquartier und das Lazarett eingerichtet, in dem zur Zeit der Einlieferung von Dix das Reserve-Feldlazarett 4 untergebracht war. Im Dezember 1915 wurden in Bétheniville laut Korpsarzt 682 Patienten behandelt. (vgl. Sanitätsbericht des Korpsarztes des XII. Reserverkorps, 8.1.1916, HStADD, Bestand 11356, 439). Die in der Literatur (H) zuweilen ausgewiesene Stationierung in Bétheniville am 1. Dezember 1915 muss als Aufenthalt im Lazarett gewertet werden. 1. Dezember »Blick auf die Kirche von Bétheniville aus dem Fenster der Station B. Gruß Dix«. (Feld- postkarte an Helene Jakob, 1.12.1915, Abb. 4) * Dix hat der Dresdner Freundin Helene Jakob, der Tochter des Hausverwalters der Kunstgewerbeschule, etwa 300 Feldpostkarten und -briefe geschrieben. Viele davon sind in der Kunstsprache Esperanto verfasst, eine Leidenschaft, die beide schon in der Dresdner Zeit verband. Karten in Esperanto werden im Folgenden mit der einleitenden Formel »Kara Samideanino« – »Liebe Gleichgesinnte« markiert. Die wiedergegebenen Übersetzungen folgen den Transkriptionen bei Ulrike Lorenz (I). 1916 Beginn 1916 Das Jahr beginnt für das Reserve-InfanterieRegiment 102 in seiner Stellung in der Champagne verhältnismäßig ruhig. In den Erinnerungsblättern des Regiments (C, S. 65 – 70) werden seit Mitte Oktober 1915 keine größeren Kampfhandlungen, sondern routinierte Stellungswechsel der einzelnen Bataillone zwischen Frontlinie und Ruhelager verzeichnet. Unter geringem Beschuss konnten Weihnachten und Jahreswechsel begangen werden. (C, S. 69) 3. Januar [?] Dix schreibt in sein Kriegstagebuch: »In Stellung (Märchenwald)«. (A, S. 26) * Als Märchenwald wurde das Waldgebiet nördlich von Aubérive bezeichnet, noch weiter nördlich, zwischen Aubérive und St. Souplet, schloss sich der sogenannte Kommandeurwald an. Am 3. Januar lag dort das Reserve-Infanterie-Regiment 104 in Stellung. (vgl. D, S. 242) 6. Januar [?] Dix vermerkt: »am 6. Jan [?] 23 Uhr [?] / franz. Trommel- / feuer«. (A, S. 27) 19. Januar »I. Batl. hat an diesem und den folgenden Tagen den üblichen Wach-, Schanz- und Arbeitsdienst, wird entlaust und badet, geht ins Kino.« (C, S. 71) Frühjahr Ab dem 21. Februar Kämpfe um Verdun, östlich der Stellung der 23. Reserve-Division, die noch immer zwischen Aubérive, Bétheniville, St. Souplet und St. Martin liegt. Dort ist die Lage weiterhin verhältnismäßig ruhig. Von Zeit zu Zeit kommt es zu Feuerüberfällen und feindlichem Artilleriefeuer. Ansonsten verharrt man in den Stellungen. (E, S. 83) ➜ »Der Krieg« (1924) »Verschüttete (Januar 1916, Champagne)« (Mappe 1, Blatt II, Karsch 1970,71) »Trichterfeld bei Dontrien von Leuchtkugeln erhellt« (Mappe 1, Blatt IV, Karsch 1970,73, Abb. S. 98) »Toter (St. Clément)« (Mappe 5, Blatt II, Karsch 1970,111 II, Abb. S. 102) 18. Februar »Kara Samideanino! Sehr großen Dank für Ihre freundliche Sendung. Bei uns regnet und regnet es immerzu. Das Feuer der Artillerie ist von Zeit zu Zeit sehr stark. Unsere Unterkünfte sind rechts des Dorfes Aubérive. Auf dieser Karte sehen Sie ›Trümmer‹. In den [»Kellern« ?] des Dorfes befinden sich die Küchen mit dicken Zementwänden gegen Feuerschutz. Da nun beim Kochen [Rauch?] entsteht, denkt der Franzmann, daß wir im Dorf liegen und nimmt das Dorf sehr stark ›unter Feuer‹. Das ist sehr belustigend! Nachts entzündet man ebenfalls Scheinfeuer, auf die der Franzmann schrecklich ›funkt‹. Abb. 4
19 Im übrigen geht mirs gut! Nochmals herzlichen Dank, ich grüße Sie Dix« (Feldpostkarten an Helene Jakob, 18.2.1916, Abb. 5) »Keine besonderen Ereignisse.« (C, S. 73) 29. Februar »3. Komp. hatte bisher, nicht wenig bestaunt, die neuen Stahlhelme getragen und ausprobiert. Bei den Akten befindet sich ein ausführlicher Bericht des Hptm. v. Lossow, der sich günstig über den Helm, weniger günstig über den dazu gehörigen Stirnschild ausspricht.« (C, S. 73 f.) 18. Mai Dix notiert in sein Kriegstagebuch: »von Friesen zurück«. (A, S. 84) * Leutnant und Zugführer Freiherr von Friesen hatte Dix und andere im November 1915 für das Eiserne Kreuz 2. Klasse vorgeschlagen. Er wurde am 19. April 1917 mit dem Kommando des Reserve-Infanterie-Regiments 104 beliehen. (vgl. HStADD, Bestand 11359, 4138) 19. Mai Missglücktes Gasablassen an der Front des XII. Reservekorps. »Plötzliche Windstille hielt das Gas im eigenen Graben zurück und verursachte bei der 23. Reserve Division Verluste.« (E, S. 84) ➜ »Der Krieg« (1924) »Die Schlafenden von Fort Vaux (Gas-Tote)« (Mappe 5, Blatt VI, Karsch 1970,60 G) 28./29. Mai Verlegung des Regiments in die Nähe von Reims, Fort de la Pompelle: »Mittags fahren Batl.-Kdr. I. nebst Komp.-Führern und einigen Utffz. im Lastauto nach Vitry-les-Reims. […] I. Batl. 3 uhr morgens in St. Hilaire verladen. 4.30 in Caurel. Marsch nach Vitry.[…] II. Batl. wird 8.45 in Bétheniville verladen. 11 Uhr Caurel.« (C, S. 78 f.) 30. Mai Dix notiert in sein Kriegstagebuch den genauen Aufenthaltsort: »Am 30. Mai in Cernay vor Reims«. Weiter hält er fest: »Eigentlich wird im letzten Grunde bloß aller Krieg um und wegen der Vulva geführt.« Darunter ist das Bekenntnis zu lesen: »Der Künstler: Einer der den Mut hat Ja zu sagen.« (A, S. 86 f. / Abb. 7) 4. Juni »Kara samideanino! Das ist Fort de la pombelle [eigentlich Pompelle – d. V.] bei Reims, ein Sperrfort und ist noch in französischer Hand. Vorn ist unser Kampfgraben. Er ist sauber betoniert und wird jeden Tag 2 × ausgefegt. Echt deutsch, nicht wahr? Für das Päckchen mit Zigaretten und Briefpapier und Ihren Brief danke ich bestens. Vorhin war ein schweres aber kurzes Gewitter. Die Gewitter sind hier außerordentlich schwer, der Donner ist eher lächerlich geringfügig im Verhältniß [sic!] zu einer Kanonade. Jetzt ist wieder blauer Himmel. Wir sitzen den ganzen Tag im Kampfgraben auf dem Schützenstand. Wir sind nun 4 Tage hier, es ist tatsächlich wie in der Sommerfrische. Die Kadethralen [sic!] leuchten herüber, […] auch die Essen rauchen, es wird feste gearbeitet in Reims. Hier hielt ich den Krieg ab und wenn er noch einige Jahre dauert, aber wir werden wahrscheinlich garnicht lange hier sein. Dann gehts wieder in die schöne LäuseSchlampagne.« (Feldpostkarte an Helene Jakob, 4.6.1916, Abb. 6) Abb. 5 Abb. 6 Abb. 4 Blick auf die Kirche von Bétheniville Feldpostkarte an Helene Jakob / 1. 12. 1915 (von fremder Hand) / Kohle / 89 × 141 mm / Kunstsammlung Gera, Inv.-Nr. D/Z 5 Abb. 5 Trümmer Feldpostkarte an Helene Jakob / 18. 2. 1916 / Tusche über Graphit / 145 × 94 mm / Kunstsammlung Gera, Inv.-Nr. D/Z 16 Abb. 6 Fort de la Pompelle bei Reims Feldpostkarte an Helene Jakob / 4. 6. 1916 (von fremder Hand) / Graphit / 92 × 138 mm / Kunstsammlung Gera, Inv.-Nr. D/Z 27
35 Abb. 1 Unteroffizier Otto Dix mit Stahlhelm 1916/17 / Photo aus dem Nachlass Marga Kummer (SLUB Dresden) »Dann gehts wieder in die schöne Läuse-Schlampagne«1. Otto Dix im Ersten Weltkrieg Otto Dix wurde laut Militärpass am 22. August 1914, einem Samstag, als »Ersatz-Reservist« in Dresden eingezogen.2 Hinter diesem lapidaren Eintrag verbirgt sich die komplexe Rekrutierungspraxis des deutschen Kaiserreichs, die auch Dix erfasste. Wahrscheinlich hatte er sich Ende 1911 oder Anfang 1912, nach seinem 20.Geburtstag am 2.Dezember 1911, mithin mit Erreichen des im Kaiserreich geltenden »wehrpflichtigen Alters« und innerhalb einer vorgeschriebenen Frist bei seiner Ortsbehörde, wohl in Gera, zu melden. Dort erfolgte die Eintragung in die sogenannte Rekrutierungsstammrolle. Diese gut durchorganisierte Erfassung der Wehrpflichtigen bedeutete allerdings nicht, dass sie auch eingezogen wurden und aktiv ihre Dienstzeit absolvieren mussten. Das vorhandene Potenzial von Wehrpflichtigen im Kaiserreich wurde auch noch in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg nur zu circa 47 Prozent ausgeschöpft – im Vergleich: in Frankreich waren es kurz vor dem Krieg circa 80 Prozent aller Wehrpflichtigen –, und selbst die noch im Juli 1913 im Zeichen des drohenden und teils auch herbeigewünschten Krieges beschlossene Heeresvermehrung, das heißt, die Aufstockung des vorhandenen Friedensheeres von gut 640000 auf über 800000 Mann, änderte daran wenig.3 Über die eigentliche Verwendung der so Registrierten entschieden jeweils die 24 Ersatzbehörden des Reiches; im Falle von Dix war dies die Ersatzbehörde innerhalb des XII.Stellvertretenden Generalkommandos in Dresden, das wiederum über Musterungsbezirke verfügte, bei deren Behörden sich die Registrierten und zur Musterung bestimmten jungen Männer vorzustellen hatten.4 Angesichts des Überangebots von Voll-Tauglichen bestimmte schließlich ein Losverfahren, wer von ihnen tatsächlich eingezogen wurde. Jene Wehrpflichtigen mit einer höheren Losnummer, zu denen auch Dix gehört haben dürfte, kamen dann zur Ersatz-Reserve (und nicht zum Landsturm).5 Die ErsatzReservisten waren zwar gemeinhin von Übungen im Frieden befreit, doch zum schnellen Personalersatz des Heeres im Kriegsfall bestimmt. Dieses Schicksal ereilte auch Otto Dix im August 1914. Die Kerndaten im Militärpass, mithin in jenem militärischen Dokument, das Dix für die Dauer seiner Dienstzeit begleiten sollte, sind in der üblichen, verknappten Form abgefasst und lauten: Wilhelm Heinrich Otto Dix, geboren am 2. Dezember 1891 zu Gera-Untermhaus im Verwaltungsbezirk Gera, im Bundesstaat Reuss jüngere Linie, 171 cm groß, seines Zeichens »Kunst Akademiker«, ledig und evangelisch-lutherischen Glaubens. Zugeteilt wurde er zunächst dem 1. Rekruten-Depot des Feldartillerie-Regiments 48 in Dresden, knapp zwei Monate später, am 18.Oktober, dem 3.Rekruten-Depot des Feldartillerie-Regiments 12 in Dresden, also zu Einheiten, die den bald dringend an der Front benötigten Personal-Ersatz zu liefern hatten. Am 5.September 1914 kam es zur Vereidigung, vier Tage später erfolgten die Impfungen, vermutlich – ohne dass dies im Militärpass vermerkt wäre – die damals im deutschen Heer üblichen gegen Scharlach, Cholera und Typhus. Am Tag des Eintritts von Dix in die Königlich Sächsische Armee am 22. August 1914 dauerte der Weltkrieg schon über drei Wochen an und bewegte die Menschen an den Fronten und in der Heimat. Doch Dix haben offensichtlich weder die »Siege« der ersten Tage noch die früh zu verzeichnenden Rückschläge animiert, sich freiwillig zu melden.6 Das ist umso erstaunlicher, als sich der gesellschaftliche Druck zur freiwilligen Meldung gerade in den Augusttagen beständig erhöhte. Zwar war die Zahl der Kriegsfreiwilligen in den ersten Wochen des Krieges wesentlich geringer, als es die propagandistischen Aufblähungen – von einer oder gar von zwei Millionen war in Deutschland die Rede – vermuten ließen. Aber zugleich verkörperte sich in ihnen im sprichwörtlichen Sinne der Krieg als nationales und gemeinschaftliches Projekt in einer Gesellschaft, die sich Bernd Ulrich
36 gerade – nicht zuletzt in Künstlerkreisen – als eine ambitionierte Verbrüderung »gegen eine Welt von Feinden« inszenierte.7 Doch die Kriegsbegeisterung konzentrierte sich auf zentrale, symbolisch aufgeladene städtische Orte, sie wurde vornehmlich von bildungsbürgerlichen Eliten propagiert und keineswegs nur getragen von hehren nationalen Gefühlen. Diese sind auch bei Dix vorderhand nicht zu finden. Zwar wissen wir bis heute wenig über seine eigentliche mentale Verfassung bei Kriegsbeginn. Doch das Bild, das sich von ihm im August 1914 ergibt – zusammengesetzt aus einer Vielzahl zeitgenössischer und späterer Selbst-Äußerungen in Briefen, auf Postkarten und in Gesprächen sowie nicht zuletzt aus seinem bis dahin vorgelegten zeichnerischen und malerischen Werk –, ist relativ scharf konturiert. Es ist das Bild eines selbstbewussten, stilerprobten, die Alten Meister ebenso wie die zeitgenössische Malerei studierenden und nach Ruhm strebenden jungen Künstlers, der vor allem eins will: »Auf den Arsch setzen und malen, und wenn der Kaiser kommt.«8 Diese Bedingungslosigkeit im »Malen wollen« und die damit verbundene Wahrnehmung seiner selbst und der ihn umgebenden Welt als Motivreservoir spielten vermutlich auch in seiner Einstellung zum beginnenden Krieg die zentrale Rolle, in den er zwar nicht kriegsfreiwillig, aber skeptisch entschlossen zog. »Man muß ja sagen können, ja zu den menschlichen Äußerungen, die da sind und immer sein werden«, äußerte Dix in einem Gespräch mit Fritz Löffler im August 1957.9 Die dafür notwendige Empathie mag ihm – wie vielen seiner Zeitgenossen – ein Teil der Philosophie von Friedrich Nietzsche gegeben haben, mit der er sich seit 1911 und bis an sein Lebensende auseinandersetzte.10 Die willensstarke Bejahung des Lebens und seiner Anforderungen, die virile Neugier auch auf das Hässliche und Entsetzliche und die kreative Umsetzung des dabei Gesehenen – das sind die Grundpfeiler der Dixschen Ästhetik im August 1914. Auch in einer seiner bekanntesten, jedenfalls immer wieder zitierten Äußerungen zum Kriegsbeginn ist der Einfluss seiner Nietzsche-Lektüre unverkennbar; sie lautet in ihren Kernsätzen: »Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen!«11 Allerdings geschieht genau das – Dix »versäumt« zunächst den Krieg, jedenfalls den an der Front! Denn nach seinem Eintritt in die Armee verbleibt er fast auf den Tag genau 13 Monate lang in der Heimat zur wechselnden Ausbildung. Diese über ein Jahr andauernde Ausbildung ist erklärungsbedürftig und – vor dem Hintergrund der massiven Verluste vor allem in der kurzen Phase des Bewegungskrieges im Westen zwischen August und November 1914 und der daraus resultierenden desolaten Ersatzlage des deutschen Heeres – zumindest erstaunlich. Gewiss, es hat in manchen Fällen für bis dahin unausgebildete Reservisten längere Ausbildungszeiten gegeben, aber doch eher als Ausnahme und keinesfalls solche, die während des Krieges länger als sechs Monate dauerten. Dix’ überlange Ausbildungszeit lässt den Betrachter ebenso ratlos zurück wie die Tatsache, dass er in dieser Zeit in erstaunlicher Quantität in der Lage war, nicht nur zu zeichnen, sondern auch in Öl zu malen. Hatte er während seiner Ausbildung in Dresden weiterhin Zugang zu einem Atelier, etwa in der Kunstgewerbeschule, oder konnte er in seiner »hübschen großen Bude« in der Dresdner Johannstadt, Elisenstraße 45, arbeiten?12 Es könnte so gewesen sein, denn es ist recht unwahrscheinlich, dass man ihm in der Kaserne einen Raum zur Verfügung gestellt oder ihm, dem einfachen Soldaten und zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Maler, überhaupt erlaubt hat, innerhalb der Kasernenmauern künstlerisch tätig zu sein. Dix »versäumt« den Krieg
37 Vor diesem Hintergrund gewinnt das »Porträt Bruno Alexander Roscher« an Bedeutung, das Dix vermutlich Anfang 1915 in Dresden malte. Roscher ist bereits 1912 im Adressbuch Dresdens nachgewiesen und hatte seine Wohnung im Nordwesten der Stadt, in der Kronenstraße 21, wo er auch noch nach dem Krieg – nun aber in der Nr. 12 II – lebte, und zwar als Oberwachtmeister der Polizei. Vor dem Krieg findet sich für Roscher auch die Berufsbezeichnung »Stadtgendarm«, er war mithin so etwas wie ein Streifenpolizist. Wenn das mittlerweile eruierte Geburtsdatum stimmt, war Roscher im Jahre 1914 ein 47-jähriger Polizist im mittleren Dienst, der vermutlich aufgrund seiner weit zurückliegenden Militärzeit bei Kriegsbeginn im Range eines Feldwebels – das zeigt jedenfalls seine Uniform auf dem Porträt – reaktiviert und als Ausbilder und/oder Kompaniefeldwebel in der Ersatzabteilung des Feldartillerie-Regiments Nr. 12, in das Dix am 18. Oktober 1914 kam, seinen Dienst verrichtete.13 Abb. 2 Maschinengewehrzug geht vor (Somme, November 1916) Aus dem Radierzyklus »Der Krieg« / 1924 / Mappe 5, Blatt I / Radierung / 245 × 300 mm / Karsch 1970,110 b / Exemplar 61/70 / KupferstichKabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. 1949-2
54 Bauernhof Um 1916 / Bezeichnet rechts unten: DX / Schwarze Kreide auf gelblichem Papier / 291 × 285 mm / Lorenz 2003, WK 5.3.27 / Kunstmuseum Stuttgart, Inv.-Nr. Z-1833 Schlamm 1916 / Bezeichnet links oben: DIX / Schwarze Kreide auf gelblichem Papier / 410 × 395 mm / Lorenz 2003, WK 6.4.1 / Kunstmuseum Stuttgart, Inv.-Nr.Z-1903 Otto Dix Zeichnungen und Gouachen 1914 – 1918
55 Zerschossene Bäume 1916 / Bezeichnet links oben: Dix / Graphit und Kreide auf Zeichenpapier / 288 × 287 mm / Lorenz 2003, WK 5.5.6 / Zeppelin Museum Friedrichshafen - Technik und Kunst, Leihgabe der ZF Friedrichshafen AG, Inv.-Nr. ZM 1989/95/LZ Schützengraben (Aubérive) 1916 / Bezeichnet rechts unten: Aubérive 16 DIX, und nochmals (verwischt): Aubérive 16 / Graphit auf bräunlichem Papier / 283 × 284 mm / Lorenz 2003, WK 5.4.33 / Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. C 1983-638
57 √ Kämpfende Soldaten Wohl 1914 / Bezeichnet rechts unten: DIX / Pinsel in Tusche über Lithokreide / 657 × 489 mm / Lorenz 2003, FW 8.0.2 / Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr.C 1950-3 Beobachtungsstand im Westerwald Um 1916/17 / Bezeichnet rechts unten: DIX / Verso bezeichnet: Beobachtungsstand im Westerwald / Schwarze Kreide auf braunem Papier / 285 × 290 mm / Lorenz 2003, WK 5.4.31 / KupferstichKabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. C 1968-377
169 »Überraschender Fund beim Meisterschüler: Nach 40 Jahren tauchten vier Skizzen zum Triptychon ›Der Krieg‹ von Otto Dix auf« – so lautete die Schlagzeile in einer Ausgabe der Zeitschrift »stern« aus dem Jahr 1975.1 Tatsächlich handelte es sich bei den »vier Skizzen« um die lange verschollen geglaubten Kartons zu einem der bedeutendsten Gemälde von Dix.2 Die Wertschätzung von Kartonentwürfen ist in der Kunstgeschichte starken Schwankungen unterworfen gewesen. Als Arbeitsbehelf stellen sie im Allgemeinen nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zum eigentlichen Kunstwerk dar. Während in der Renaissancezeit der Karton als eigenständige künstlerische Aussage verstanden wurde, ging das Interesse in der Barockzeit zurück, um im Historismus erneut aufzuleben. Besondere Bedeutung erhalten Kartons dann, wenn das eigentliche Kunstwerk nicht mehr existiert, wie zum Beispiel die Entwürfe von Otto Dix zu einem Wandbild im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, das kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zerstört wurde. Die Bedeutung, die der Künstler selbst dem Medium Karton zumaß, zeigt sich an einem Porträt von Franz Fiedler, für das er vor dem Entwurf des Gemäldes »Triumph des Todes« posiert (Abb. 1). Die Kartons zum Kriegstriptychon lagerten während des Zweiten Weltkriegs im Dresdner Atelier von Dix in der Kesselsdorfer Straße 11. Betreut wurde dieses Atelier, nachdem Dix seit 1936 in Hemmenhofen wohnte und nur noch einmal jährlich nach Dresden kam,3 von Ernst Bursche, einem Schüler des Künstlers aus seiner Dresdner Akademiezeit. Auf nicht ganz geklärte Art und Weise sind die Kartons in den Besitz Bursches übergegangen und wurden von diesem dann 1975 an die Galerie Brockstedt in Hamburg verkauft.4 Über den Erhaltungszustand äußerte sich Ernst Bursche in einem Brief an Fritz Löffler, in dem er den Verkauf rechtfertigte, folgendermaßen: »Der Erhaltungszustand sowohl der Entwürfe zum Kriegsbild als auch derjenigen zum Wandbild im Hygienemuseum, dessen Mittelteil nur zur Hälfte vorhanden ist, war sehr schlecht. Sie mussten dringend restauriert werden. Den erheblichen Betrag, der dafür verlangt wurde, konnte ich aber nicht aufbringen. So habe ich den Carton zum Wandbild vor einer Reihe von Jahren und den zum Kriegs-Triptychon im letzten Jahr verkaufen müssen.« 5 Die Galerie Brockstedt veranlasste nach dem Erwerb die Restaurierungsmaßnahme, die vom Atelier Klein in Köln durchgeführt wurde, und präsentierte die Kartons anschließend auf der Baseler Kunstmesse 1975.6 Bevor die Hamburger Kunsthalle 1978 die Kartons für eine Summe von 220 000 DM erwarb, stellte sie die Galerie 1977 in einer Ausstellung des Kunstvereins in Hamburg einem größeren Publikum vor.7 Mit dem »Fund« der Kartons schloss sich eine Lücke im Wissen um den Entstehungsprozess des Gemäldes, der darüber hinaus mit zwölf Studien- und Skizzenblättern, in denen Dix verschiedene Kompositionsideen formuliert hatte, und mit der vermutlich einzigen farbigen Entwurfszeichnung zum Gemälde dokumentiert ist (Abb.S.160–167). Nimmt man seine schriftlichen Selbstaussagen bezüglich der Maltechnik hinzu, lässt sich seine Vorgehensweise nun auch in kunsttechnologischer Hinsicht rekonstruieren. In einer 1958 für die »Washington School of Art« ausgearbeiteten Lehreinheit beschreibt Dix den ersten Arbeitsschritt folgendermaßen: »Bei Anwendung unserer besonderen Maltechnik muss man sich über die Komposition vollkommen klar sein. […] Fangen Sie mit kleinen groben Bleistiftskizzen an. Machen Sie viele davon, halten Sie sich daran, bis die Komposition in ihrer Vorstellung unmissverständlich klar ist.« 8 Mit »besonderer Maltechnik« bezieht sich Dix auf die von ihm seit Mitte der 1920er Jahre angewandte Lasurmalerei, ein Verfahren der Frührenaissance, zu dessen Voraussetzung die Festlegung der Komposition des Bildes schon vor dem eigentlichen Malprozess gehört, da später durchgeführte Veränderungen durch die Transparenz des Malmittels immer sichtbar bleiben würden. Olaf Simon Wege zum Bild – die Kartons Abb. 1 Franz Fiedler Bildnis Otto Dix vor dem Karton zum Gemälde »Triumph des Todes« (Ausschnitt) 1933 / Brauner Bromöldruck / 370 × 270 mm / Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. D 1933-8
170 Entsprechend entwickelte er die Komposition des Kriegstriptychons in zahlreichen, mit Bleistift und Rötel ausgeführten Skizzen auf Papier. Drei davon zeigen das gesamte Triptychon (Abb. S. 160/161, 162/163 und 166/167), auf einer ist allerdings die Predella noch nicht konzipiert (Abb.S. 162/163). Auf den anderen Zeichnungen setzt sich Dix mit den beiden Flügeln (Abb. S. 179, 200 und 201) und dem Mittelteil (Abb.S. 187) auseinander. Mit dem großformatigen Aquarell (Abb. S. 164/165) scheint er schließlich die endgültige Komposition fixiert zu haben. Neben einem ersten Farbeindruck geht es hier schon um die Festlegung der exakten Größe des Gemäldes. Die zahlreichen Maßangaben, Zahlen und deren Korrekturen sowie die Festlegung des Rahmenformates durch die Bleistifteinfassung legen diesen Schluss nahe. Über den nächsten Schritt, die Anfertigung der das Gemälde maßstabsgetreu vorbereitenden Kartons, äußert er sich wie folgt: »Wenn Sie mit Ihrer kleinen Skizze zufrieden sind, beginnen Sie mit der Studie in voller Größe, die Sie in den realen Maßen des Bildes anlegen. Zweck dieser Studie ist es, das Bild in so vielen Details wie nur möglich vorauszuplanen und weitere Entscheidungen über Formen, Konturen, Valeurs usw. zu treffen.« 9 Zur Übertragung des Kartons auf die Holztafel rät er: »Bringen Sie einen Bogen Tonpapier auf Ihrer Tafel an, indem Sie ihn an den Kanten sicher mit Klammern befestigen. Das Papier kann eine beliebige Farbe haben, sollte aber einen mittleren Ton haben, keinen hellen. Zeichnen Sie das Sujet sorgfältig in Kohle.«10 Grundsätzlich kann ein Entwurf durch zwei Methoden auf den Malgrund übertragen werden. Bei der Spolvero-Methode (italienisch: bestäuben/abstauben) perforiert man die Umrisslinien der Zeichnung mit einer PausnaAbb. 2 Karton zum Triptychon »Der Krieg« 1928 – 1930 / Mitteltafel / Skelett mit ausgestrecktem Arm im oberen Bilddrittel, Rötelspuren an den Knicken
171 del oder einem Rädchen. Anschließend wird der Karton auf der präparierten Leinwand oder Holztafel platziert. Durch das Aufdrücken eines dünnen Stoffbeutels, der mit Holzkohle oder Papierasche gefüllt ist, werden diese Pigmente durch die kleinen Löcher gestoßen und die Umrisszeichnung auf dem Malgrund markiert.11 Für das Kriegstriptychon bevorzugte Dix die andere Technik, die sogenannte Calcho-Methode (italienisch: durchpausen/durchdrücken), die er auch in seiner Lektion den Studenten nahebrachte: »Fahren Sie die Umrisse Ihrer Zeichnung mit einem harten Bleistift oder Griffel nach. Drücken Sie ordentlich auf, aber seien Sie vorsichtig, dass Sie nicht das Papier zerreißen oder den Kreidegrund zerkratzen. Ziehen Sie alle Umrisse nach und deuten Sie die Ausdehnung der Schattierungen und Schatten mittels Schraffuren an.« 12 Damit sich die Umrisslinien deutlich abzeichnen, muss bei diesem Verfahren entweder die Rückseite des Kartons mit Kohle oder Rötel eingestrichen oder, als Variante, ein auf einer Seite bestäubtes Zwischenlagepapier verwendet werden. Obwohl beim Kriegstriptychon die Rückseiten der Kartons durch die Doublierung mit Leinwand nicht mehr sichtbar sind, kann man ein Durchdringen des Rötels zur Vorderseite durch Knicke und Falten beobachten sowie einen flach auf der Oberfläche aufliegenden Rötelstaub, der sich vermutlich durch ein späteres Übereinanderlegen oder Aufrollen der Kartons abgesetzt hat (Abb. 2 und 3). Deutlich zu erkennen ist das Setzen der Konturen mit Kohle in mehreren Arbeitsschritten, wobei Dix der Einsatz von Kreuz- und Parallelschraffuren zur Licht- und Schattenmodulierung diente. Eine malerische Wirkung erzielte er durch Verwischen der Kohle. Abb. 3 Karton zum Triptychon »Der Krieg« 1928 – 1930 / Linker Flügel / Panzer am Horizont, mit aufliegendem Rötelstaub
172 Neben Kohle verwendete Dix weiße Kreide, die sowohl trocken als auch wässrig gebunden eingesetzt wurde. Sie diente zur Akzentuierung in Form von Weißhöhungen, zum Beispiel im Himmelsbereich oder in den Stahlhelmen der Soldaten des linken Flügels. Den im farblichen Erscheinungsbild grauen, glänzenden Graphitstift benutzte Dix lediglich als Griffelstift zum Durchdrücken auf den Bildträger, wobei er die wichtigsten Konturen mit gleichmäßigem Druck exakt linear nachzog (Abb. 5). Dass Otto Dix ungewöhnlich lange um die Kompositionsform seines Kriegstriptychons gerungen hat, ist bereits an den vorbereitenden Kartons ersichtlich. So existiert zum rechten Flügel neben dem ausgeführten noch ein sogenannter verworfener Karton (Abb.S. 203). Im Rahmen des Ausstellungsprojektes erstmalig angefertigte Röntgenaufnahmen des Gemäldes zeigen, dass er zunächst den verworfenen Karton auf den Bildträger übertrug, bevor er sich doch für eine andere Variante entschied. Auch im linken Flügel sind mithilfe der Durchleuchtung wesentliche Änderungen nachweisbar. Für den Vordergrund plante er in der Vorzeichnung zunächst einen Pflug, im Aquarell ein gestürztes oder totes Pferd, das er dann auf dem Karton zugunsten der Figur eines Hundes wieder aufgegeben hat. Dieser wurde zunächst auch auf die Tafel übertragen, aber zuletzt schließlich durch ein großes Wagenrad ersetzt – eine Bildidee, die Dix, kombiniert mit dem gestürzten Pferd, bereits auf der Albstädter Skizze ausprobierte (Abb. S. 162/163). Dass die in seiner Vorlesung für die »Washington Art School« lehrbuchmäßige Beschreibung eines idealen Arbeitsvorgangs bei der Herstellung einer »figürlichen Komposition« sich in der künstlerischen Praxis indessen schwieriger gestaltet, lässt sich nicht nur beim Betrachten der Zeichnungen und Kartons konstatieren, sondern findet seine Fortsetzung auch in der malerischen Umsetzung von Inhalt und Form im Gemälde. Anmerkungen 1 Überraschender Fund beim Meisterschüler, in: stern 28 (1975), Heft 28 (3. 7. 1975), S. 118. Für wichtige Hinweise danke ich Christine Casper von der Galerie Brockstedt, Hamburg. 2 Unter einem Karton versteht man eine Zeichnung im Maßstab von 1:1 auf einem meist groben, starken Papier, die zur Übertragung eines Entwurfs auf den Malgrund oder auf ein anderes Medium verwendet wird. Kartons wurden sowohl für Wand- und Deckenmalereien als auch für Tafelbilder, Glasfenster und Tapisserien hergestellt. 3 Von 1943 bis 1949 musste Dix seine jährlichen Reisen nach Dresden einstellen. 4 Vgl. SLUB Dresden, Nachlass Fritz Löffler, Mscr. Dresd. App. 2535. Laut diesen Unterlagen befanden sich die Kartons zu folgenden Dix-Gemälden seit 1949 im Besitz von Ernst Bursche: »Der Krieg« (Abb.S. 174/175), »Die sieben Todsünden«, 1933, Kohle, 1790 × 1200 mm (Lorenz 2003, IE 5. 1.4); »Wandbild im Hygiene-Museum Dresden«, 1930, Bleistift, Kohle, Kreide und Deckweiß, linker Teil 2200 × 1230 mm (Lorenz 2003, NSk 10.2.9), Mittelteil 2200 × 2460 mm (Lorenz 2003, NSk 10.2.10), rechter Teil 2200 × 1230 mm (Lorenz 2003, 10.2.11); »Melancholie«, 1930, Kohle, weiße und braune Kreide, Rötel, 1200 × 900 mm (Lorenz 2003, NSk 11. 1.13); »Liegender Akt«, 1930, Pastell und Kohle, 445 × 630 mm (Lorenz 2003, NSk 10. 4. 10). 5 Ernst Bursche an Fritz Löffler, 27. 2.1976, SLUB Dresden, Nachlass Fritz Löffler, Mscr. Dresd. App. 2535, Nr. 2536. 6 In einem handschriftlichen Zustandsbericht aus dem Jahr 1991, angefertigt von der damaligen Papierrestauratorin der Hamburger Kunsthalle, Gerlinde Römer, findet sich der Vermerk: »Der Karton wurde vor der Erwerbung von der Werkstatt Klein, Köln, restauriert.« Vermutlich handelt es sich um die Gemälderestaurierungswerkstatt von Otto Klein (1904 – 1994), der seine Lehrjahre in Dresden verbrachte und u. a. Assistent von Kurt Wehlte, maltechnischer Leiter an der Dresdner Kunstakademie von 1925 bis 1930, war. 7 Vgl. Hamburg 1977. 8 Für die »Washington School of Art« (New York), die eine Art Fernstudium im künstlerischen Bereich anbot, verfasste Otto Dix 1958 zwei Lektionen zu seiner Maltechnik. Im ersten Teil referierte er über »Painting and Composition« (lesson 19) und im zweiten Teil über »Painting a Figurative Composition in Tempera and Oils« (lesson 20) – eine deutsche Fassung beider Texte (Malerei und Komposition/Das Malen einer figürlichen Komposition in Tempera und Öl) ist in Schmidt 1981, S. 229 – 250, abgedruckt, hier zit. S. 244 f. Vgl. weitergehend zu Otto Dix und seiner Zusammenarbeit mit der »Washington School of Art«: Catherine Wermester, Otto Dix – Comment je peins un tableau, Deux leçons de peinture, Paris 2011. 9 Schmidt 1981, S. 245. 10 Ebd. 11 Im Werk von Otto Dix finden sich auch Beispiele dieser Methode, so z. B. die Kartons zum Wandbild »Orpheus und die Tiere« (u. a. »Schwan«, 1938, Kohle, 928/931 × 978 mm (Lorenz 2003, IE 6.6.13). 12 Schmidt 1981, S. 247. Abb. 4 Verworfener Karton zum Triptychon »Der Krieg« (Rechter Flügel) 1928 – 1930 / Hand des Kriechenden am unteren Bildrand, Kontur der Hand mit Graphitstift durchgegriffelt Abb. 5 ® Karton zum Triptychon »Der Krieg« 1928 – 1930 / Linker Flügel / Streiflichtaufnahme / Zwei Soldaten, Kontur der Gesichter mit Graphitstift durchgegriffelt
Karton zum Triptychon »Der Krieg« 1928 – 1930 / Linker Flügel bezeichnet rechts unten: Dix 30, Mitteltafel bezeichnet rechts oben: Dix 30 / Kohle, Rötel, weiße Kreide und Graphit auf Papier auf Leinwand / Linker Flügel 2040 × 1020 mm, Mitteltafel 2040 × 2040 mm, rechter Flügel 2040 × 1020 mm, Predella 600 × 2040 mm / Lorenz 2003, NSk 7.3.10 (linker Flügel), NSk 7.3.11 (Mitteltafel), NSk 7.3.12 (rechter Flügel), NSk 7.3.14 (Predella) / Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 1978/60 a-d
Der Krieg (Triptychon) 1929 – 1932 / Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gal.-Nr.3754
Otto Dix Das Triptychon »Der Krieg« (1929 – 1932) von Otto Dix aus dem Bestand der Galerie Neue Meister in Dresden zählt zu den Schlüsselwerken deutscher realistischer Malerei im 20. Jahrhundert. Kaum ein anderer Künstler hat sich so intensiv mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt wie Otto Dix. Der Band erschließt das vierteilige Gemälde in faszinierenden Detailaufnahmen. Die Vorzeichnungen und Kartons ermöglichen einen Einblick in den jahrelangen Entstehungsprozess des Triptychons. Bislang unveröffentlichtes Quellenmaterial zum Fronteinsatz des Künstlers sowie Reflexionen zur Verarbeitung des Erlebten nach Kriegsende beleuchten den zeithistorischen Kontext. SANDSTEIN
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