Leseprobe

172 Neben Kohle verwendete Dix weiße Kreide, die sowohl trocken als auch wässrig gebunden eingesetzt wurde. Sie diente zur Akzentuierung in Form von Weißhöhungen, zum Beispiel im Himmelsbereich oder in den Stahlhelmen der Soldaten des linken Flügels. Den im farblichen Erscheinungsbild grauen, glänzenden Graphitstift benutzte Dix lediglich als Griffelstift zum Durchdrücken auf den Bildträger, wobei er die wichtigsten Konturen mit gleichmäßigem Druck exakt linear nachzog (Abb. 5). Dass Otto Dix ungewöhnlich lange um die Kompositionsform seines Kriegstriptychons gerungen hat, ist bereits an den vorbereitenden Kartons ersichtlich. So existiert zum rechten Flügel neben dem ausgeführten noch ein sogenannter verworfener Karton (Abb.S. 203). Im Rahmen des Ausstellungsprojektes erstmalig angefertigte Röntgenaufnahmen des Gemäldes zeigen, dass er zunächst den verworfenen Karton auf den Bildträger übertrug, bevor er sich doch für eine andere Variante entschied. Auch im linken Flügel sind mithilfe der Durchleuchtung wesentliche Änderungen nachweisbar. Für den Vordergrund plante er in der Vorzeichnung zunächst einen Pflug, im Aquarell ein gestürztes oder totes Pferd, das er dann auf dem Karton zugunsten der Figur eines Hundes wieder aufgegeben hat. Dieser wurde zunächst auch auf die Tafel übertragen, aber zuletzt schließlich durch ein großes Wagenrad ersetzt – eine Bildidee, die Dix, kombiniert mit dem gestürzten Pferd, bereits auf der Albstädter Skizze ausprobierte (Abb. S. 162/163). Dass die in seiner Vorlesung für die »Washington Art School« lehrbuchmäßige Beschreibung eines idealen Arbeitsvorgangs bei der Herstellung einer »figürlichen Komposition« sich in der künstlerischen Praxis indessen schwieriger gestaltet, lässt sich nicht nur beim Betrachten der Zeichnungen und Kartons konstatieren, sondern findet seine Fortsetzung auch in der malerischen Umsetzung von Inhalt und Form im Gemälde. Anmerkungen 1 Überraschender Fund beim Meisterschüler, in: stern 28 (1975), Heft 28 (3. 7. 1975), S. 118. Für wichtige Hinweise danke ich Christine Casper von der Galerie Brockstedt, Hamburg. 2 Unter einem Karton versteht man eine Zeichnung im Maßstab von 1:1 auf einem meist groben, starken Papier, die zur Übertragung eines Entwurfs auf den Malgrund oder auf ein anderes Medium verwendet wird. Kartons wurden sowohl für Wand- und Deckenmalereien als auch für Tafelbilder, Glasfenster und Tapisserien hergestellt. 3 Von 1943 bis 1949 musste Dix seine jährlichen Reisen nach Dresden einstellen. 4 Vgl. SLUB Dresden, Nachlass Fritz Löffler, Mscr. Dresd. App. 2535. Laut diesen Unterlagen befanden sich die Kartons zu folgenden Dix-Gemälden seit 1949 im Besitz von Ernst Bursche: »Der Krieg« (Abb.S. 174/175), »Die sieben Todsünden«, 1933, Kohle, 1790 × 1200 mm (Lorenz 2003, IE 5. 1.4); »Wandbild im Hygiene-Museum Dresden«, 1930, Bleistift, Kohle, Kreide und Deckweiß, linker Teil 2200 × 1230 mm (Lorenz 2003, NSk 10.2.9), Mittelteil 2200 × 2460 mm (Lorenz 2003, NSk 10.2.10), rechter Teil 2200 × 1230 mm (Lorenz 2003, 10.2.11); »Melancholie«, 1930, Kohle, weiße und braune Kreide, Rötel, 1200 × 900 mm (Lorenz 2003, NSk 11. 1.13); »Liegender Akt«, 1930, Pastell und Kohle, 445 × 630 mm (Lorenz 2003, NSk 10. 4. 10). 5 Ernst Bursche an Fritz Löffler, 27. 2.1976, SLUB Dresden, Nachlass Fritz Löffler, Mscr. Dresd. App. 2535, Nr. 2536. 6 In einem handschriftlichen Zustandsbericht aus dem Jahr 1991, angefertigt von der damaligen Papierrestauratorin der Hamburger Kunsthalle, Gerlinde Römer, findet sich der Vermerk: »Der Karton wurde vor der Erwerbung von der Werkstatt Klein, Köln, restauriert.« Vermutlich handelt es sich um die Gemälderestaurierungswerkstatt von Otto Klein (1904 – 1994), der seine Lehrjahre in Dresden verbrachte und u. a. Assistent von Kurt Wehlte, maltechnischer Leiter an der Dresdner Kunstakademie von 1925 bis 1930, war. 7 Vgl. Hamburg 1977. 8 Für die »Washington School of Art« (New York), die eine Art Fernstudium im künstlerischen Bereich anbot, verfasste Otto Dix 1958 zwei Lektionen zu seiner Maltechnik. Im ersten Teil referierte er über »Painting and Composition« (lesson 19) und im zweiten Teil über »Painting a Figurative Composition in Tempera and Oils« (lesson 20) – eine deutsche Fassung beider Texte (Malerei und Komposition/Das Malen einer figürlichen Komposition in Tempera und Öl) ist in Schmidt 1981, S. 229 – 250, abgedruckt, hier zit. S. 244 f. Vgl. weitergehend zu Otto Dix und seiner Zusammenarbeit mit der »Washington School of Art«: Catherine Wermester, Otto Dix – Comment je peins un tableau, Deux leçons de peinture, Paris 2011. 9 Schmidt 1981, S. 245. 10 Ebd. 11 Im Werk von Otto Dix finden sich auch Beispiele dieser Methode, so z. B. die Kartons zum Wandbild »Orpheus und die Tiere« (u. a. »Schwan«, 1938, Kohle, 928/931 × 978 mm (Lorenz 2003, IE 6.6.13). 12 Schmidt 1981, S. 247. Abb. 4 Verworfener Karton zum Triptychon »Der Krieg« (Rechter Flügel) 1928 – 1930 / Hand des Kriechenden am unteren Bildrand, Kontur der Hand mit Graphitstift durchgegriffelt Abb. 5 ® Karton zum Triptychon »Der Krieg« 1928 – 1930 / Linker Flügel / Streiflichtaufnahme / Zwei Soldaten, Kontur der Gesichter mit Graphitstift durchgegriffelt

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