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8 Die Vermählungsfeierlichkeiten 1719 in Dresden Ein vollendetes Fest und ein unvollendeter Bericht Im Jahre 1730 besuchte Johann Georg Keyßler Dresden. Begeistert und detailliert beschrieb der Autor des bekannten und vielgelesenen Reiseberichts »Neueste Reisen durch Teutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweitz, Italien und Lothringen« die Sehenswürdigkeiten der Residenz am Elbstrom. Überraschenderweise erwähnt Keyßler in seinem Bericht auch ein Kupferstichwerk von phantas­ tischen Dimensionen, das – obwohl es noch gar nicht existierte – bereits während seiner Entste- hung für Furore sorgte: »Der Dresdenische Hof ist unter dem jetzigen König [August II. in Polen] stets sehr prächtig gewesen, und werden alle grosse[n] Solennitäten, Ritter=Spiele, Aufzüge, und wo der Lands=Herr sonst eine Magnificenz gezeiget, in Kupffer gestochen, welches Werck bey 20 0000. Thaler Unkosten erfordern und nur zu einem Geschenck vor grosse Herren dienen wird.« 1 Auf dieses Kupferstichwerk – eine von August dem Starken initiierte Festdokumentation zu den Dresdener Vermählungsfeierlichkeiten des sächsischen Kurprinzen Friedrich August mit der Kaiser- tochter Maria Josepha von Österreich im September 1719 – sollte das Publikum allerdings vergeb- lich warten. 2 Es wurde nie vollendet. Das Fest Politische Hintergründe Mit dem Tod König Johanns III. Sobieski in Polen 1696 war die polnische Königskrone für den erst zwei Jahre zuvor unerwartet zur Regierung gelangten sächsischen Kurfürsten Friedrich August, genannt August der Starke, in greifbare Nähe gerückt. Als August II. stieg er am 15. September 1697 unter die gekrönten Häupter auf. Ziel aller seiner künftigen Anstrengungen war, den erwor- benen Rang für seine Dynastie zu sichern, wenn nicht zu erhöhen. Die Vermählung seines Sohnes mit einer Habsburgerin war für die Wettiner ein Ereignis von größter politischer und dynastischer Tragweite, von ihr erhoffte sich der König nicht weniger als die Erlangung der Kaiserwürde für sein Haus. 3 Notwendige Voraussetzung des Eintritts in den dynastischen Olymp war allerdings der Kon- fessionswechsel des Kurprinzen. Er wurde – in aller Stille – 1712 außer Landes vollzogen. Spätestens von 1705 an – Friedrich August war zu jenem Zeitpunkt neun Jahre alt – verfolgte dessen Vater seine hochgesteckten Ziele. Die Hochzeit plante August seit 1711, jenem Jahr, in dem er seinen Sohn auf eine mehrjährige Kavaliersreise schickte, um ihn der protestantischen Einfluss- sphäre zu entziehen. 4 Im gleichen Jahr verstarb Kaiser Joseph I. und hinterließ zwei noch nicht volljährige Töchter, die 1699 geborene Maria Josepha und ihre jüngere Schwester Maria Amalia. Gemäß dem die Erbfolge regelnden »Pactum mutuae successionis« folgte der Bruder Josephs I. als Karl VI. auf den Thron. Für den Fall jedoch, dass dieser ohne männlichen Erben bliebe, wäre eine Erbfolge Maria Josephas nach den Regeln des »Pactum« möglich. Doch ging aus diesem nicht ein- deutig hervor, ob die älteste Tochter Josephs I. oder eine – damals noch ungeborene – älteste Tochter Karls VI. gemeint war. Eine Auslegung des »Pactum« zugunsten Maria Josephas bedeutete im Falle einer Hochzeit des sächsischen Kurprinzen mit der Habsburgerin, dass die Wettiner in den engeren Kreis der Anwärter erblicher Nachfolge auf den Kaiserthron gelangten. 5 Karl VI. erkannte die im »Pactum« liegende Gefahr für seine eigenen Nachkommen, deren Erbfolge er mit der am 19. April 1713 veröffentlichten sogenannten Pragmatischen Sanktion zu sichern trachtete. Dieses Hausgesetz legte die Unteilbarkeit und Untrennbarkeit aller habsburgi- schen Erbkönigreiche und Länder fest und sah für diesen Fall eine einheitliche Erbfolgeordnung vor. In ihm wurde das »Pactum« so interpretiert, dass nach vollständigem Aussterben des Hauses im Mannesstamm die älteste Tochter des letzten Kaisers thronfolgeberechtigt sei. Als erste sollten Karls Töchter und deren Nachkommen, dann erst die Töchter Josephs I., zuletzt die Leopolds I. erbberechtigt sein. Der einzige männliche Nachkomme Kaiser Karls VI., Prinz Leopold Johann, verstarb 1716 im Säuglingsalter. Mit der Geburt Maria Theresias im Jahre 1717 trat nun der in der Pragmatischen Sank- tion geregelte Fall ein, dass die Tochter Karls VI. in der Erbfolge den Platz vor Maria Josepha einnahm. Im selben Jahr reiste der sächsische Kurprinz von Venedig nach Wien, um bis zum März 1719 in der Kaiserstadt zu bleiben. Dort gab er am 11. Oktober 1717 seine Konversion zum katholischen Glauben bekannt. Nach Sicherstellung der Erbansprüche und der Geburt einer Thronfolgerin war der Kurprinz für Kaiser Karl VI. als Bräutigam Maria Josephas willkommen. Die langen Verhandlun- gen zwischen Kursachsen und Österreich endeten mit der im März 1718 offiziell verkündeten Ver- lobung Friedrich Augusts mit Maria Josepha (Abb. 1, Abb. 2). Im Heiratskontrakt hatte August der Starke für seinen Sohn auf alle Erbansprüche zu verzichten. Dennoch sollte nach dem Tod Karls VI.

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