Katalog

So schaue ich auch als Einzige charmant lächelnd in die Kamera, der Liebe des Onkels ge- wiß, obwohl der zu seiner Gattin schaut. Er beugt sich etwas vor, ohne mich zu berühren. Die Tante blickt ihm tief und verliebt in die Augen. Der Blick sagt: Möchtest Du auch ein Kind? – Liebst Du mich? Er lächelt gönnerhaft. Er weiß noch nicht, welch tödliches Ge- wächs in seinem Körper wuchert. Meine Mutter schaut neidisch auf die Tante: So würden sie und mein Vater sich nie ansehen. Ihre Ehe ist eine Zweckgemeinschaft ohne Liebe. Sie pflegte einen Kriegsheimkehrer, er heiratete eine trauernde Kriegerwitwe. Mein Vater schaut gedankenverloren vor sich hin. Er weiß, so wie er malt sonst keiner. Auf Wunsch malt er alles. Ohne ihn hätte auch der großartige Onkel kein solches Leben führen können; er macht für ihn mit figürlicher Malerei Werbung im großen Stil. Für meinen Vater spielte es keine Rolle, wer wen liebt, wovon einer träumt oder wofür er sich verzehrt. Für ihn besteht nach Haft im KZ aufgrund einer Befehlsverweigerung und dem Erlebten in Stalingrad das eigentliche Glück darin, »überlebt zu haben«.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1