Katalog
10 Die neue Frauenkirchen-Orgel Hor s t Hod i ck Seit Beginn der Planungen für den Wiederaufbau der Frauenkirche war die Frage einer Wiederherstellung der Orgel in der Klanggestalt und Technik von 1736 diskutiert worden. Anders als bei der Silbermann-Orgel der katholischen Hofkirche, deren originales Werk von 1755 nach der kriegsbedingten Ausla- gerung im Kloster Marienstern 1971 in ein rekonstruiertes, vollständig neues Gehäuse wieder eingebaut werden konnte, ist von der Orgel der Frauenkirche keine verwendbare Substanz erhalten. Zudem lagen keine schriftlichen oder bildlichen Zeugnisse vor, die eine vollständige und überprüfbare Rekonstruk- tion des Instruments erlaubt hätten. Anhand von Vergleichsinstrumenten aus Silbermanns Hand wäre wegen der relativ einheitlichen Bauweise seiner Ins trumente ein Nachbau »im Stile« Gottfried Silbermanns denkbar gewesen. Da jedoch als wichtigstes Vorbild für einen solchen Nachbau die in unmittelbarer Nähe stehende Orgel der katholischen Hofkirche sowie die Orgel der Freiber- ger St. Petrikirche gedient hätten, stellte sich die Frage nach dem Sinn einer Stilkopie in engster Nachbarschaft zu den Originalen. Durch die historischen Klaviaturumfänge (C/D-d 3 bzw. C/D-c 1 ) wären Beschränkungen hinsichtlich des spielbaren Repertoires vorhanden gewesen, und der barocke Kammerton hätte ein Musizieren mit heutigen Instrumenten nicht oder nur sehr einge- schränkt durch Transpositionen erlaubt. Auch galt es zu bedenken, über wel- chen Zeitraum eine Stilkopie in unmittelbarer Nachbarschaft zu zahlreichen originalen Silbermann-Orgeln in der näheren und weiteren Umgebung Dres- dens Gültigkeit und Anziehungskraft besessen hätte. Sowohl die Geschichte der Frauenkirchen-Orgel mit ihren zahlreichen Umbauten 1 als auch die historischen Tonaufnahmen des Frauenkirchen-Orga- nisten Hanns Ander-Donath aus der Zeit vor 1945 belegen, dass in der Frauen kirche ein stilistisch weit gefächertes und bis in die Moderne reichendes musi- kalisches Repertoire gepflegt wurde. Ander-Donath spielte außer Werken von Georg Böhm (1661–1733) und Johann Sebastian Bach (1685–1750) zeit genössische Kompositionen von Richard Strauss (1864–1949), Max Reger (1873–1916), Gerard Bunk (1888–1958), Otto Frickhoeffer (1892–1963) und Hans Friedrich Micheelsen (1902–1973). Dieser Tradition folgend wurde die neue Frauenkirchen-Orgel so konzipiert, dass sie ein breites musikalisches Repertoire klanglich überzeugend darbieten kann. Bei der Planung der neuen Frauenkirchen-Orgel standen von Anfang an zwei Leitgedanken fest: Das Instrument muss seine Aufgabe als Gottesdienst- und Konzertinstrument auf lange Sicht sinnvoll erfüllen können, und es muss
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