Katalog

15 Um die Orgel für die Musik des 19. und 20. Jahrhunderts vielfältig nutzen zu können, wurde in die dreimanualige Konzeption Silbermanns ein Schwell- werk (Récit expressif) eingefügt und durch Erweiterungen vor allem im Pedal klanglich in die Gesamtkomposition eingebunden. Konzeptionell und dispo- sitionell ergab sich so eine gewisse Nähe zur Gestalt der Frauenkirchen-Orgel nach dem Umbau von 1912, bei dem das bis dahin noch weitgehend original erhaltene Instrument modernisiert und ebenfalls um ein Schwellwerk erweitert worden war. Die neue Orgel der Frauenkirche reflektiert somit nicht nur die Orgel von 1736, sondern auch ihre bewegte Geschichte und ist eine Synthese sowohl aus elsässischem, französischem und sächsischem als auch aus histo- rischem und modernem Orgelbau. Inzwischen sind zehn Jahre intensiver Nutzung der Orgel vergangen und es wurden einige Veränderungen an dem Instrument vorgenommen, die sich aus den nicht vollständig vorhersehbaren akustischen Gegebenheiten der Frauenkirche, aus wartungs- und aus spieltechnischen Gründen ergaben: Um das Nachstimmen der Zungen zu erleichtern, wurde der ursprünglich hinter der Rückwand des Schwellwerks vorhandene Stimmgang ins Schwellwerk verlegt. Die Problematik der sehr schweren, beim Stimmen zu öffnenden Rück- wandtüren und die damit verbundene Veränderung der Stimmung der unmit- telbar an der Rückwand stehenden Zungenstimmen wurde damit beseitigt. Das kalottenförmige Gewölbe über der Orgel führte zu verblüffenden, von Flüstergewölben her bekannten akustischen Phänomenen. So war es etwa möglich, in der Orgel auf dem Stimmgang des Oberwerks stehend im Kirchen­ raum geführte leise Gespräche genau zu verfolgen. Dieser durch eine Fokus- sierung des Schalls hervorgerufene Effekt wirkte allerdings auch umgekehrt von der Orgel aus ins Kirchenschiff: Töne vor allem des Oberwerks und aus der tiefen Lage des Hauptwerks waren an bestimmten Stellen im Kirchenraum besonders laut wahrnehmbar, während sie an anderen Stellen normal oder sogar zu schwach erklangen. Um diesen unerwünschten Effekt auszuschalten, erhielt die Orgel im Innern über dem Oberwerk ein hölzernes Dach, dass eine gleichmäßigere und besser durchmischte Schallabstrahlung gewährleistet. Zusätzlich zu den rein mechanischen Koppeln besitzt die Frauenkirchen-Orgel mehrere elektrische Koppeln, bei denen nur das jeweils bespielte Manual durch den Organisten, die angekoppelten Werke jedoch durch Elektromag- nete angesteuert werden. Die an Silbermann orientierte historisierende Trak- turkonstruktion in Verbindung mit einer konventionellen Elektrik und Elektro- nik erwies sich jedoch als zu unpräzise. Deshalb wurde die Koppelelektrik und -elektronik durch eine von der Werkstatt Kern durch Jean-Jacques Guenego neu entwickelte Koppelkonstruktion ersetzt, die bedeutend präziser arbeitet. 1 S. hierzu S. 46–47 in diesem Heft.   2 Horst Hodick: Die Frauenkirchen-Orgel – Bericht zur Arbeit der Orgelkommission. In: Die Dresdner Frauenkirche. Jahrbuch zu ihrer Geschichte und zu ihrem archäologischen Wiederaufbau. Hrsg. von der Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden e.V., Bd. 5, Weimar 1999, S. 122–123.   3 Die neue Orgel der Dresdner Frauen­ kirche – der Weg zur Entscheidung. Hrsg. von der Stiftung Frauenkirche Dresden. Dresden 2003. 4 Zit. nach: Hermann Fischer: 100 Jahre Bund deutscher Orgelbaumeister. 1891–1991. Festschrift. Lauffen 1991, S. 222.

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