Katalog
9 gener Wunden (…) tatsächlich neutestamentlich ist«. 1 Die durch die Zerstö- rungen des Krieges entstandenen Narben sollten jedoch nicht überdeckt werden, sondern sowohl am Außenbau durch die eingefügten Originalsteine als auch im Innern, vor allem an dem aus unzähligen Bruchstücken neu zusam- mengesetzten Altar, sichtbar bleiben. Damit war zugleich der Zielstellung aller Befürworter und Unterstützer eines archäologischen Wiederaufbaus, d. h. eines Wiederaufbaus unter Verwendung der erhaltenen, wiederverwendbaren Originalteile, Rechnung getragen. So enthält die neue Frauenkirche tatsächlich die alte, zerstörte Frauenkirche materiell in sich. Aber nicht nur ideelle Gründe waren für den Wiederaufbau bestimmend; auch ästhetische, historische, städtebauliche und denkmalpflegerische Argu- mente kamen zum Tragen: Bereits 1958 hatte der Dresdner Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Fritz Löffler (1899–1988) in seinem bekannten Buch »Das alte Dresden« geschrieben: »Es wird Aufgabe der Zukunft sein, das über der Stadt schwebende Kuppelwunder, das als Wahrzeichen der Stadt des Barock die Silhouette beherrschte, in seinem Äußeren wiederherzustellen.« 2 Und 1996 schrieb der Kunsthistoriker Jürgen Paul: »Die Dresdner Frauenkirche war der künstlerisch anspruchvollste und schönste Kirchenbau des deutschen Protestantismus; die Dresdner Frauenkirche war eines der Hauptwerke der europäischen Barockarchitektur; ihre Kuppel war eine der originellsten und reifsten Lösungen in der Typologie des Kuppelbaus seit der Renaissance.« 3 Um dieses einmalige Bauwerk in seiner architektonischen Wirkung wieder vollständig erleben zu können, war es zwingend notwendig, auch den Innen- raum in seiner ursprünglichen Gestalt so weit wie möglich zu rekonstruieren, wenn auch mit gewissen Prämissen: »Die Rekonstruktion der in ihrer Einma- ligkeit faszinierenden Innenraumarchitektur kann, mit Ausnahme des Altars, das zerstörte Original Bährs nicht ersetzen. Sie kann und soll in ihrer Annähe- rung daran aber Zeugnis einer großartigen Raumidee ablegen.« 4 Der Altar war erstaunlicherweise – wenn auch schwer beschädigt – im Choranbau unter dem Schutt der zusammengestürzten Kirche stehengeblieben. Mit ihm war eines der beiden Hauptstücke des Raumes authentisch erhalten und konnte restauriert werden. Das andere Hauptstück, die Orgel, unmittelbar über dem Altar stehend und von George Bähr als eine Einheit mit dem Altar gestaltet, war jedoch vollständig vernichtet. Es bestand kein Zweifel, dass der Altar nur in seiner genialen Verbindung mit dem Orgelprospekt von 1736 wieder zu seiner ursprünglichen architekto- nischen Wirkung gelangen würde. Da keine Substanz des Orgelwerks im Sinne eines archäologischen Wiederaufbaus verwendet werden konnte, wurde nach Prüfung aller Möglichkeiten von Daniel Kern aus Straßburg ein neues Orgel- werk mit deutlichen Bezügen zu dem Silbermann-Instrument von 1736 ge baut, das neben der Silbermann-Orgel von 1755 in der Hofkirche und der Jehmlich-Orgel von 1963 in der Kreuzkirche eine große Bereicherung der sächsischen Orgellandschaft ist. 1 Stefan Fritz und Christoph Münchow: Faszination Frauenkirche. In: Die Frauenkirche zu Dresden. Werden, Wirkung, Wiederaufbau. Hrsg. von der Stiftung Frauenkirche Dresden. Dresden 2005, S. 19. 2 Fritz Löffler: Das alte Dresden. 3. Auflage 1958, S. 70. 3 Jürgen Paul: Das Bild der Dresdner Frauen kirche in der kunst- und architekturgeschichtlichen Literatur. In: Die Dresdner Frauenkirche. Jahrbuch 1996, S. 165. 4 Uwe Kind und Thomas Gottschlich: Der Innenausbau. In: Die Frauenkirche zu Dresden. Werden, Wirkung, Wiederaufbau. Hrsg. von der Stiftung Frauenkirche Dresden. Dresden 2005, S. 277.
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