Katalog
135 Das Künstlerhaus in Dresden-Loschwitz E r i n n e r u n g e n u n d S k i z z e n Im Sächsischen-Dresdner Kunstleben hatte sich manches geändert. Carl Bantzer war mit der Elite des jungen aufstrebenden Malernachwuchses aus der alten Dresdner Kunstge- nossenschaft 1893 ausgetreten. Unter seiner Führung – er war eine ruhige, gebildete und begabte Führernatur – gründete sich die Dresdner Secession, welche im Gegensatz zur alten Dresdner Kunstgenossenschaft nur rein künstlerischen, nicht gesellschaftlichen Zwecken dienen sollte. Die Berufung von Geheimrat v. Seidlitz aus Berlin war erfolgt. Der baltische Ritter Seidlitz sollte das »schlafende Dornröschen Dresdner-Sächsischer Kunst« zu neuem Leben erwecken. Er war nicht nur eine hochgewachsene sondern auch hochgelehrte, aber etwas steife nordische Natur, die nicht mit der Künstlerschaft so recht wärmende Fühlung bekommen konnte, trotz besten Willens von seiner Seite. Künstler zu führen und zu beherrschen ist nur sehr wenigen gegeben. Constantin Lipsius, mein verehrter Meister und Lehrer, war noch vor Vollendung seines Hauptwerkes – der Aka- demie- und Ausstellungsbautengruppe auf der Brühlschen Terrasse im April 1894 ge- storben. Die Nachricht erreichte mich im sonnigen Venedig. Ich hätte ihm so gern das künstlerische Ergebnis meiner Studienreisen aus Süddeutschland, Österreich-Ungarn und Italien gezeigt. Nun war es unmöglich. Er musste sein arbeitsreiches, unermüdlich schaf- fendes Leben enttäuscht, verbittert und verkannt wegen der harten Befeindung seines Hauptwerkes durch die rücksichtslose Kunstpresse abschließen. Aber die hohe Verehrung seiner zahlreichen Schüler blieb ihm für alle Zeiten gesichert. Ich gab meiner Verehrung durchWidmung meines bei Kühlmann 1901 in Dresden verlegtenWerkes »Architekten- mappe, Studien, Reiseskizzen« Ausdruck. Lipsius war m. E. mehr hochgebildeter Kunst- gelehrter, als neuschaffender und neuschöpfender Architekt. Wegen seiner starken An- lehnung an die Architektursprache der Franzosen, besonders an Charles Garnier, den Schöpfer der neuen großen Oper in Paris, musste er sich herbe Kritik gefallen lassen. Für uns Atelierschüler war das große Werk Garniers »Nouvel Opera Paris« die heilige Schrift – die Architekturbibel, welche Lipsius immer wieder als das Werk unserer Zeit anpries. Durch seinen frühen Tod war seinen Schülern einWegbereiter in der Heimat verloren gegangen. Wir waren zum Fortkommen nun ganz auf uns selbst angewiesen. Besonders sein Lieblingsschüler, mein Freund Richard Michel verlor unendlich viel an ihm. Lipsius hatte zu seinem Nachfolger – als Vorstand des Meisterateliers für Baukunst an der Königlichen Akademie der bildenden Künste – Paul Wallot, den namhaften Ar- chitekten und Erbauer des deutschen Reichstagsgebäudes (des größten Monumental- baues seiner Zeit) empfohlen. Wallot nahm 1895 die Berufung unter der Bedingung an,
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