Katalog
139 Waisenhausstraße malte, fragte mich bei der Ateliermietzahlung 1896 ganz beiläufig, ob ich nicht auf Wunsch seines alten Vaters mit ihm dessen Berggrundstück – Ort und Weinberg – besichtigen möchte. Er wolle es billig seines Alters wegen verkaufen. Ich lehnte von vornherein glatt ab, da ich mich nicht mit noch mehr Grundbesitz belasten wollte. Da er aber seinem Vater versprochen hatte, ein Sachverständigen-Urteil einzuho- len, fand ich mich schließlich doch bereit, mit ihm an einem sonnigen Nachmittag nach Loschwitz zu gehen. Das Grundstück lag an der Pillnitzer Landstraße, dem alten schönen – mit Zypressen bewachsenen – Loschwitzer Friedhof gegenüber. Wir gingen den Weg vom Körnerplatz, welchen ich dann in all’ den kommenden Jahren manch tausendmal – oft sorgenvoll, oft freudig bewegt im Sturmschritt geflogen – gegangen bin. In etwa zwölf Minuten waren wir am Eingang des Grundstücks, vomVater Unger empfangen. Das Verhältnis zwischen dem vom Alter etwas gebeugten Vater Unger und seinem Sohn Hans basierte auf einer, man könnte sagen bodengebundenen rauen Grundlage: Hans, als Sohn aus zweiter Ehe zapfte den Alten lächelnd und nicht gerade zartfühlend an, der blieb ihm aber noch kräftigere Antworten nicht schuldig. Seine Wildbret-Handlung auf der Pillnitzer Land- straße lieferte ihm reichliche Abfälle. Darauf führte er den guten Ertrag (materiell und finanziell) seiner Obstbäume zurück. Hans meinte, es würde für ihn günstiger sein, sich finanzielle Abfälle vom Verkauf seiner Bilder angeln zu können. Unter allerhand solcher Sticheleien zwischen Unger Senior und Junior stiegen wir an flacher Talböschung den Hang hinauf bis zum Stängelzaun, der das Grundstück vom Besitz der sogenannten Weinbergsvilla S.M. [Seiner Majestät, AC] des Prinzen Georg – jetzt vom Kronprinzen mit dem Hofstaat bewohnt – trennte. Von oben sah man auf die beiden bemoosten Ziegeldächer des alten, fachwerkverputzten Bauernhauses und der etwa sechs Meter von diesem entfernt stehenden Scheune. Die Obst- und Nussbäume, sowie das Beerenobst versprachen reiche Ernte. Der Berghang war vom vorherigen Besitzer als Musterobst-Bergpflanzung nach Aus- rottung der von Schädlingen befallenen, jahrhundertealtenWeinstöcke angelegt worden. Die ersten Weinpflanzungen sollen auf die Brüder von Alten-Dresden zurück zu führen sein. Die Weinberge nannte man daher früher die Spittelberge. Durch die schönen schlanken dunklen Zypressen des gegenüberliegenden, durch die Straße getrennten Friedhofes leuchtete das Silberband des von den Uferwiesen begrenz- ten Flusses. »Von dem Friedhofsbetrieb merkt man hier nichts« sagte mit erhobener Stimme der alte Unger, um vermutlich den Grabgesang zu übertönen, der zunehmend mit Posaunen- begleitung – »integer vitae« – herüber klang, was Vater Unger nicht in den Streifen passte. Der Blick streifte weiter östlich und südöstlich von den Bergkegeln der Sächsischen Schweiz über den langen ruhigen Rücken des Erzgebirges, und den diskreten Erhebungen des Sattelberges, Geisings und Wielischs bis zu den Lößnitzbergen, die sich blau in blau über den drei Prinzenschlössern am Loschwitzer Elbhang dahinzogen, im so genannten großen Elbbogen, der die blinkende, flimmernde Großstadt mit den Villenvororten um- schloss.
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