Katalog
10 stellten Bauaufgaben: repräsentative Staatsbauten wie Bibliotheken, Akademiegebäude und Ministerien. In Anbetracht der Vorliebe Lipsius’ für Historismen à la Ecôle des Beaux Arts in Paris ist es bemerkenswert, dass die später von Pietzsch verwirklichten Bauten dieses For- menvokabular vollkommen abgestreift haben. Wenn er klassische Motive ausnahmsweise doch benutzte, dann verwendete Pietzsch sie sehr frei und ohne Rücksicht auf die sonst mit diesen verbundenen Kompositionssysteme. Schon an Pietzschs ersten Bauten als freier Architekt nach den Praxisjahren in Budapest ( 1893 – 1894 ) und der Italienreise ( 1894 ) wird deutlich, dass er sich dem Stil seines Lehrers nicht anschließen würde. Ein Grund dafür lag in den Bauaufgaben als freiberuflicher Archi- tekt und Baumeister. Diese fand er vor allem im Bereich des Wohnhausbaus. Architekten in einem öffentlichen Amt (in Hochbauämtern von Städten oder als leitende und entwerfende Baubeamte in Ministerien) dagegen mussten die Gebäude der Kommunen (Rat- und Stadt- häuser, Schulen und Feuerwachen) oder des Staates (Museen, Ministeriumsgebäude und Gerichtsgebäude) errichten. Private Künstler kamen bei solchen Bauten nur durch Wettbe- werbe zum Zuge. Diese Spezialisierung auf den Wohnhausbau prägte Pietzschs künstlerische Entwicklung, auch wenn er in anderen Bereichen ebenfalls tätig wurde und sich seit 1913 mit Kinobauten einen Namen machte. Das Italienerlebnis, insbesondere der Eindruck der malerischen Architektur Venedigs (im Vergleich zu der rationaleren florentinischen), haben sich in seinem Werk prägnanter nie- dergeschlagen als die an der Akademie bei Lipsius vermittelten Ideen und Anschauungen. Besonders die frühen Bauten (so die Villa Osteck, Wägnerstraße 1 ) zeigen eine Affinität zu subtilen spätgotischen Dekorationen venezianischer Provenienz. In der allgemeinen Anmu- tung ist das »venezianische Element« auch noch am Künstlerhaus zu spüren. Allerdings gelang Pietzsch hier die Verbindung malerischer Motive (Giebel, Schornsteine, Turmbauteile, Bauplastik) und monumentaler Größe mit rationaler und funktionaler Gestaltungsweise am Ateliertrakt. Durch zusätzliche sezessionistische Ornamentik (Quadrate u.a.) entstand so ein »Mischstil«, der trotzdem harmonisch wirkt. Ein Wohnhausbau ähnlicher Ausrichtung war die Villa Barthel, bei der Pietzsch die dezente Dekoration Wiener Art sehr gebändigt auf den Baukörper applizierte und so eine große Geschlossenheit des Gesamteindrucks erreichte. Dem Jugendstil im engeren Sinne kann man nur wenige Bauten des Architekten zurech- nen. Zwar verwendete Pietzsch gelegentlich die dafür typischen geschwungenen Elemente – diese aber meist als aufgesetzte Bauplastik. Oft vermischen sie sich mit anderen Motiven, z. B. solchen, die dem Landhausstil entlehnt sind, wie auf der »Loschwitzhöhe«. Das Miets haus Wägnerstraße 18 ( 1905 ) ist mit seiner plastischen Durchbildung des Baukörpers und dem fast disharmonischen Nebeneinander glatter Mauerflächen, mit seiner Dachlandschaft, den Fachwerkelementen und mit der feinen floralen Bemalung am ehesten der Jugend stilarchitektur zuzuordnen. Eine ähnliche Ausrichtung der Massenverteilung ist am Haus Dr. Hille, Klarastraße 18 , zu beobachten. Zu Beginn des 20 . Jahrhunderts entwickelte sich Pietzsch künstlerisch immer mehr in eine reformorientierte Richtung. Von den Architekten dieser bedeutenden Strömung – in Dresden vertreten durch Künstler wie Fritz Schumacher, Hans Erlwein sowie den Büros Lossow & Kühne, Schilling & Gräbner – wurden die »Aus- wüchse des Jugendstils« abgelehnt. Ebenso empfanden sie den Bezug auf historische Vor-
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