Katalog

11 bilder im Sinne des Stilkopierens, wie er vom Späthistorismus vertreten wurde, als leer. Das Streben nach neuen, zeitgemäßen und »modernen« Formen lag in der Luft. Hier setzen auch die stilistischen Besonderheiten Pietzschs an, seine fantasievolle Arbeitsweise und sein Stre- ben nach dekorativen Formen abseits herkömmlicher Motive. Das wichtigste »Markenzeichen« des Baukünstlers ist das Abtreppungs- oder Stufen­ motiv. Es taucht zuerst recht unscheinbar als gesimsähnliche Gliederung um 1900 auf, etwa am Kleinen Künstlerhaus – dort als Klinkerelement –, am Haus Oertel oder an der Villa Pastor Richter. Besonders bei Toren, Türen, Fensterfassungen und Bühnenrahmungen, die einen geraden Abschluss besitzen und dadurch eine strenge Komponente von sich aus mit- bringen – klare waagerechte Linien sind auch als Ausdruck von Abgeschlossenheit, Vernunft, Beschränkung usw. interpretierbar –, lässt sich diese Klarheit durch das Motiv der Abtrep- pung rhythmisieren und steigern. Zudem entspricht es dem Stil des Architekten, klare, re- duzierte und als »modern« geltende Formen zu schaffen oder zu erfinden, aber nicht auf architektonische Gliederung zu verzichten, wie es die nachfolgende Generation tat. Etwas Interessantes, Eigentümliches und Rhythmisch-Bewegtes sollte die Architektur auf jeden Fall besitzen! 1 Zum ersten Mal als monumentale Rahmung einer Eingangssituation hat Pietzsch diese Form der Abtreppung 1906 bei einem Teil der Innengestaltung der Ausstellungsgebäude der Kunstakademie verwendet. 2 Der strenge Eindruck wurde durch die Strukturen auf den ein- zelnen »Stufen« gemildert, eine Gestaltungsweise, die Pietzsch auch später gebrauchte, z.B. bei den Bühnenrahmungen der Kinos. Pietzsch war nicht der einzige Architekt, der diese Abtreppungen verwendete. Lossow & Viehweger etwa setzten eine strenge Stufenornamentik sehr wirkungsvoll zur Rahmung und Hervorhebung von Fenstern am Gebäude der Landständischen Bank Dresden (ca.  1905 / 06 , zerstört 1945 ) ein. 3 Da die Entstehungszeit des Bankgebäudes nicht genau bekannt ist – die Veröffentlichung in den Dresdner Künstlerheften 1907 lässt nur die Bestimmung des spätest- möglichen Zeitpunktes der Fertigstellung zu –, ist schwer festzustellen, ob Pietzsch die Motivik übernommen hat oder ob das Portal des Ausstellungspalastes eine eigenständige Lösung von ihm ist. Einen Höhepunkt erreichte die Verwendung dieses Motivs bei Pietzsch um 1913 , unter anderem als Bühnenrahmung der U. T.-Lichtspiele ( 1912 / 13 ). Zur gleichen Zeit verwendete er es auch an einfacheren Bauten, wie die gestufte Rahmung eines Erkerfensters beim kleinen Haus Oertel ( 1913 ) zeigt. Ähnlich taucht es aber auch noch fast 15 Jahre später auf, so am Haus Eckarti ( 1927 ) – vor allem aber an der zeitgleich entstandenen Schauburg. Dieses Kino besitzt neben der expressionistisch überformten Bühnenrahmung das Stufenmotiv gleich zweimal im Außenbereich, an der Hauptfassade als Rahmung der Ein- und Ausgänge. Zudem gab es ursprünglich einen getreppten Abschlusssims der Wand. Das Abtreppungs-Motiv vermittelt speziell im Bereich der Kinos Bewegung, Dynamik und Rhythmus. Die Kunst- und Architekturgeschichtsschreibung hat bisher solchen persönlichen Stil- merkmalen der Künstler gerade in den ersten zwei Jahrzehnten des 20 . Jahrhunderts noch zu wenig Beachtung geschenkt und sich mehr auf die Beschreibung der allgemeinen Aus- prägungen des Nachjugendstiles beschränkt – etwa mit Klassifizierungen wie Reformarchi-

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