Katalog

19 Juristen in Dresden Die personelle Entwicklung in den juristischen Be- rufen war nach 1933 durch Kontinuitäten und Brü- che gekennzeichnet: Auch in Dresden blieben die mehrheitlich bürgerlich-konservativen Justizbe­ amten und Rechtsanwälte im Amt. Das seit dem 10. März 1933 von demNationalsozialisten Dr. Otto Thierack (1889–1946) geführte sächsische Justiz- ministerium beließ mit Oberlandesgerichtspräsi- dent Dr. Alfred Hüttner und Landgerichtspräsident Rudolf Marx führende Köpfe der großen Gerichte in Dresden auf ihren Posten. Gleichzeitig förderte das neue Regime die wenigen Juristen, die sich schon vor 1933 der NSDAP ange- schlossen hatten. Es verdrängte dagegen politisch missliebige Juristen aus ihren Berufen und sol- che, die aufgrund der völkisch-antisemitischen Zuschreibung durch den NS-Staat als »jüdisch« galten. Die rechtliche Grundlage für die Berufsver- bote lieferten die Gesetze »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« und »über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft« vom 7. April 1933. Ein Teil der Betroffenen konnte zunächst über die soge- nannte Frontkämpfer-Klausel 1 im Beruf verblei- ben, das endgültige Aus für jüdische Beamte bzw. Rechtsanwälte erfolgte 1935 bzw. 1938 auf dem Verordnungsweg. 2 Zu den Dresdner Juristen, die 1933 Berufsverbot erhielten, weil sie sich gemäß § 3 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft »in kommunistischem Sinne betätigt« hatten, gehörte Rolf Helm ( a S. 280). Als Anwalt der »Roten Hilfe« hatte er Kommunisten verteidigt. Dr. Inge Sternfeld ( a S. 30) traf als Jüdin 1933 dasselbe Schicksal. Spätestens ab 1935 hätte sie auch ohne jüdische Herkunft ihren Beruf nicht ausüben können, da weibliche Anwälte nicht mehr vor Gericht auftreten durften. Andere, wie der jüdische Rechtsanwalt am Dresdner Amts- und Landgericht Martin Reichen- bach (1879–1943), konnten aufgrund ihres Front- kämpferstatus bis 1938 praktizieren. Als der Aus- grenzungs- und Vertreibungspolitik des NS-Regi­ mes ab 1941 die physische Vernichtung der jüdi- schen Bevölkerung folgte, gehörte auch Martin Reichenbach zu den Opfern. Er starb im März 1943 zusammen mit seiner Frau auf dem Transport ins oder unmittelbar bei der Ankunft im Konzentra­ tionslager Auschwitz. 3 Unter den Druck des Regi- mes gerieten aber auch Dresdner Juristen wie Otto Jahrreiß ( a S. 28), die an ihrer jüdischen Ehefrau festhielten. Weil er eine Todesanzeige für die in Auschwitz Ermordete veröffentlichte, verlor er 1943 seine Zulassung als Rechtsanwalt. Jüdische Rechtsanwälte wie Dr. Fritz Glaser durften ihre Tä- tigkeit nicht mehr ausüben, überlebten aber dank der Ehe mit einer »arischen« Frau. Anderen entlas- senen Juristen wie Inge Sternfeld gelang die Emi­ gration. Einige der Entlassenen konnten nach 1945 ihren Beruf in Dresden wieder aufnehmen, weil sie politisch unbelastet waren oder nun das »richtige« Parteibuch hatten. Diejenigen, die sich wie Fritz Glaser nicht parteipolitisch instrumentalisieren ließen, mussten erneut mit Diskriminierung rech- nen ( a S. 292). Die Juristenmehrheit, die nach 1933 im Amt blieb, arrangierte sich in unterschiedlicher Weise mit dem neuen Regime. Die meisten Justizjuristen tra- ten nach den Wahlen im März 1933 der NSDAP aus Opportunismus oder innerer Überzeugung bei. Zu letzteren gehörte der spätere Dresdner General- staatsanwalt Heinz Jung ( a S. 24), der 1933 nicht nur NSDAP-Mitglied wurde, sondern sich zugleich in der Reiter-SS aktiv betätigte. Auch Gruppen- druck, Ausgrenzungsängste, Aufstiegsmöglichkei- ten und der für den 1. Mai 1933 angekündigte Beitrittsstopp in die NSDAP spielten für diesen Entschluss eine Rolle. Zu einer weiteren größeren Beitrittswelle kam es 1937, als die Parteiführung vor allem für diejenigen den Aufnahmestopp lo- ckerte, die sich seit 1933 in den angeschlossenen nationalsozialistischen Verbänden bewährt hat- ten. Zu den in dieser Zeit eher widerwillig Beigetre- tenen gehörte Ernst Friesicke ( a S. 26). Der Son- dergerichtsvorsitzende ist aber auch ein Beleg dafür, dass eine harte und parteiliche Rechtspre- chung im Sinne des Regimes auch ohne bzw. mit eher formaler Parteizugehörigkeit funktionieren konnte. Seit der Auflösung der Landesjustizverwaltungen 1935 entschied zwar das Reichsjustizministerium über Stellenbesetzungen, doch die Partei prüfte die politische Zuverlässigkeit der Kandidaten und stellte politische Zeugnisse aus. Diese Stellung- nahmen konnten zusammen mit einer NSDAP-Mit- gliedschaft bei wichtigeren Beförderungen den Ausschlag geben. Unter Reichsjustizminister Otto Thierack, der im August 1942 ins Amt kam, wurde eine NSDAP-Mitgliedschaft Voraussetzung für ei­ nen Aufstieg. Anmerkungen 1 Darunter fielen Männer, die selbst am Ersten Weltkrieg teil- genommen oder deren Söhne oder Väter dort gefallen waren. 2 1. Verordnung zum Reichs­ bürgergesetz (14.11.1935): Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand. (§ 4, Abs. 2); 5. Verordnung zum Reichsbür- gergesetz (27.9.1938): Zurück- nahme der Zulassung jüdischer Rechtsanwälte bis 30.11.1938. 3 Vgl. Familie Reichenbach, in: Buch der Erinnerung (2006), S. 297f.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1