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71 § 1935 beschloss der Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«, auch »Blutschutz- gesetz« genannt. Es verbot Ehen (§ 1) und den »außerehelichen Verkehr« (§ 2) zwischen Juden und Staatsangehörigen »deutschen oder artverwandten Blutes«. Ebenso verabschiedet wurde das »Reichs- bürgergesetz«, das Menschen jüdischer Herkunft die politischen Rechte absprach. Nachdem vorhe- rige diskriminierende Gesetze und Verordnungen bereits die Ausübung verschiedener Berufe unter- sagt hatten, waren von diesen Gesetzen alle jüdi- schen Deutschen als Staatsbürger und Privatperso- nen betroffen. An die Stelle der Gleichheit aller Staatsangehörigen setzte das NS-Regime die »rassische« Ungleichheit und leitete daraus die Notwendigkeit ab, »deutsch- blütige« und jüdische Menschen voneinander zu trennen. ImVorspruch zu demGesetz hieß es in die- semSinne, dass »die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des Deut- schen Volkes« sei. Die »Lösung der Judenfrage« galt dafür als existenzielle Voraussetzung. Zeitgenössi- sche Gesetzeskommentare, Urteile und Prozessbe- richte hoben daher die Bedeutung des Blutschutz- gesetzes als »Grundgesetz« des »Dritten Reiches« hervor. Nun unterlag die Wahl des Partners staatli- cher Kontrolle. Meist löste eine Denunziation die Ermittlungen der Gestapo aus. Die Denunzierenden trieben sexueller Voyeurismus, antisemitische Res- sentiments, Sozialneid, Eifersucht oder konkrete materielle Interessen an. Wegen außerehelicher Beziehungen konnten nach dem Gesetz nur jüdische und nichtjüdische Män- ner verurteilt werden. Frauen wie Elsa Duncker ( a S. 76) erhielten eine Strafe wegen Meineids, wenn sie die Liebesbeziehung leugneten, um ihren Partner nicht zu belasten oder um sich den die Intimsphäre berührenden Verhören zu entziehen. Zudem drohten den Partnerinnen verurteilter »Ras- senschänder« polizeiliche Maßnahmen. Jüdinnen kamen generell in »Schutzhaft«. Seit Kriegsbeginn mussten sie mit der Einweisung in das Konzentra- tionslager Ravensbrück und schließlich mit ihrer Deportation in ein Vernichtungslager rechnen. Bei nichtjüdischen Frauen war das nur ausnahmsweise der Fall, aber auch sie waren Repressalien wie der öffentlichen Anprangerung ausgesetzt. Durch die Expansionspolitik des Deutschen Rei- ches dehnten die Verfolgungsbehörden ihren Ak­ tionsradius auch auf Paare aus, die in Nachbarlän- der emigriert waren. Da das Heiratsverbot auch im Ausland galt, konnte die deutsche Justiz Ehen wie die von Dora und Herbert Berger ( a S. 74) für nich- tig erklären. Für die Aburteilung von »Rassenschande« waren die Landgerichte zuständig, bei denen spezielle Blut- schutzkammern gebildet wurden. Diese sollten eine einheitliche Rechtsprechung sicherstellen. Auch Richter und Staatsanwälte der Strafkammer M am Dresdner Landgericht beteiligten sich aktiv an der Verfolgung und sozialen Ausgrenzung von Men- schen jüdischer Herkunft auf justiziellem Weg. Blutschutzgesetz »Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig, auch wenn sie zur Umgehung dieses Gesetzes im Ausland geschlossen sind.« Gesetz zum Schutze des deut- schen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935, hier: § 1, Absatz 1 Reichsgesetzblatt, Teil I, 1935, S. 1146f.

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