Katalog
72 1933–1945 vor Gericht Aufnahmeanweisung Am 9. September 1943 kam Charlotte Sternfeld (1900–1980) in ihrer Geburtsstadt Dresden in Un- tersuchungshaft. Vor den nationalsozialistischen Behörden war sie mit ihrem Partner und dem ge- meinsamen Sohn zunächst in die Schweiz und dann nach Paris geflohen. In Südfrankreich wurde das Paar verhaftet. Im April 1944 verurteilte das Dresdner Landgericht Charlotte Sternfeld wegen versuchter Eheschließung mit einem Juden zu einer 18-monatigen Zuchthausstrafe. Diese musste sie im Strafgefangenenlager Griebo bei Magdeburg verbüßen. Ihr Mann Hans Sternfeld, ein Bruder der Juristin Inge Sternfeld ( a S. 30), überlebte die Kon- zentrationslager Auschwitz und Buchenwald. Aufnahmeanweisung, 9.9.1943, HStA Dresden, 11120 StA beim LG Dresden, Nr. 553, Bl. 46a In der ersten Zeit nach Erlass des Gesetzes stell- ten die Richter noch zahlreiche Verfahren ein und berücksichtigten die Umstände des einzelnen Fal- les, wie etwa das langjährige Bestehen von Bezie- hungen. Im April 1936 verfügte das Reichsjustiz ministerium jedoch, dass nicht wie bisher Gefäng- nis-, sondern Zuchthausstrafen für »Durchschnitts- fälle« angemessen seien. Bei einer schon vor Er- lass des Gesetzes bestehenden Beziehung sollte keine Strafmilderung gewährt werden. Deutsche Gesetzesbrecher sollten zudem nicht höher als jü- dische bestraft werden. In der Folge fielen die Stra- fen höher aus. Einer Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts vom Dezember 1936 folgend legten die Richter den Begriff des »außerehelichen Ver- kehrs« in der juristischen Praxis extensiv aus. Das »Blutschutzgesetz« trug maßgeblich zur wach- senden sozialen Isolierung jüdischer Deutscher bei. Jüdische Rechtsanwälte oder Ärzte wie Otto Kastner ( a S. 130) waren vom Kriminalisierungsdruck des Gesetzes besonders betroffen.
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