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74 1933–1945 vor Gericht Dora Berger, geb. Kretzschmar (1904–1980) Die Tochter eines Hüttenarbeiters stammte aus Naundorf bei Freiberg. Seit Anfang der 1920er Jahre arbeitete sie in Chemnitz als Hausange- stellte. Als sie 1929 ihren früheren Arbeitgeber, den jüdischen Kaufmann Herbert Berger, wieder- traf, entwickelte sich ein Liebesverhältnis. 1933 ließ sich der Inhaber eines Strumpfwarengroßhan- dels von seiner Ehefrau scheiden. Dora Kretzsch­ mar zog mit ihm zusammen. Noch vor Inkrafttreten des »Blutschutzgesetzes« wurde das Paar im Sommer 1935 kurzzeitig in »Schutzhaft« genommen. Wie viele andere lang- jährige Paare stellten Dora Kretzschmar und ihr Partner 1936 vergeblich ein Gesuch um ausnahms- weise Heiratsgenehmigung. Nach den November- pogromen 1938 kamHerbert Berger vorübergehend in das KZ Buchenwald. NachdemDora Kretzschmar 1939 erneut wegen des Verdachts der »Rassen- schande« in »Schutzhaft« gekommen war, folgte sie Herbert Berger nach Brüssel. Dort heiratete das Paar im November 1939. Im Zuge des deutschen Überfalls auf Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frankreich im Mai 1940 wurde Herbert Berger zunächst von den belgischen Behörden als »feind- licher« Deutscher interniert. Nach der Kapitulation dieser Länder wenig später kam er in das südfran- zösische Lager Gurs, wo das mit Deutschland kol- laborierende Vichy-Regime Juden gefangen hielt. Im Januar 1941 brachte Dora Berger die gemein- same Tochter Myriam zur Welt. Als die deutschen Behörden sie aufforderten, ihre Ehe für nichtig er- klären zu lassen, verließ die junge Mutter Brüssel aus Furcht vor Verhaftung. Mithilfe von Schlepper- banden gelangte sie nach Marseille. Anfang De- zember 1941 begab sie sich freiwillig zu ihrem Mann ins Lager Gurs. Von dort kam die Familie im Mai 1942 ins Lager Noé bei Toulouse. Im gleichen Monat erklärte das Landgericht Chemnitz die Ehe der Bergers in Abwesenheit für ungültig. Die ge- meinsame Zeit im Lager Noé endete im Februar 1943, als Herbert Berger in das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek deportiert und dort später umgebracht wurde. Dora Berger, der inzwi- schen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, kehrte im Juli 1943 zu ihrer Familie nach Freiberg zurück. Weisungsgemäß meldete sie sich bei der Gestapo und wurde sofort verhaftet. Familienfoto im Lager Diese Aufnahme entstand im Lager Noé und war ein Geschenk für Dora Bergers Mutter. Auf der Rück- seite hatte ihr Schwiegersohn vermerkt: »Unserer guten lieben Oma alles Gute zum Geburtstag No- vember 1942 Urahne, Mutter, Kind!«. Herbert Ber- ger bezeichnete sich selbst als »Urahne«, da er so stark gealtert war. Foto, November 1942, Schenkung Myriam Schütze

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