Katalog
169 Abschiedsbriefe (Sonderstation) Die zum Tode verurteilten Häftlinge konnten in der Regel auf einem Briefbogen der Anstalt einen Abschiedsbrief in ihrer Muttersprache schreiben, nachdem sie von der bevorstehenden Vollstre- ckung erfahren hatten. Die Briefe wurden zensiert, einige Schriftstücke von Dresdner Häftlingen ent- halten daher geschwärzte oder ausradierte Passa- gen. Wieder andere erreichten die Angehörigen überhaupt nicht, sondern kamen zu den Akten. Das war beispielsweise bei dem Kommunisten Fritz Schreiter (1892–1944) der Fall. Er hatte in drasti- schenWorten sein Urteil kritisiert, seine Schwester aufgefordert, dagegen vorzugehen, und auf seinen Zustand der »Abmagerung« angespielt. 129 Manchmal nahm auch der Gefängnisseelsorger letzte Grüße an die Angehörigen entgegen. Die Zei- len auf der Rückseite eines Heiligenbildchens mit Pietà-Darstellung ( a S. 176) verfasste Joël Anglès D’Auriac in der Nacht vor seiner Hinrichtung. Ein offizieller Abschiedsbrief ist von ihm nicht überlie- fert. In einem als Durchschlag erhalten gebliebe- nen Brief an die Eltern vom September 1946 infor- mierte der Seelsorger sie über die letzten Stunden ihres Sohnes. Da er sich nicht sicher war, ob der Brief sie erreichen würde, behielt er das Kärtchen ebenso wie eine Haarlocke des jungen Franzosen bei sich. 130 Wie viele Dresdner Häftlinge tatsächlich einen Abschiedsbrief schrieben und wie viele da von die Angehörigen erreichten, muss aufgrund der Quellenlage offen bleiben. Das Schreiben der Briefe war für die Häftlinge, die sich in den letzten Kriegsjahren nach der Vollstre- ckungsankündigung zu mehreren in einer der To- deszellen im Erdgeschoss des Hafthauses auf hielten, mühsam. Sie bekamen zwar die Handfes- seln abgenommen, mussten jedoch Fußboden und Zellenwände als Unterlage nutzen, da ein Tisch fehlte. 131 Die Briefe zeugen von einer Ausnahmesituation. Ihre Verfasserinnen und Verfasser konnten aus Gründen der Zensur, der Zeit, des wenigen Platzes, ihrer physischen oder psychischen Verfasstheit nicht immer das ausdrücken, was sie wollten. Die Gedanken der Briefschreiber kreisten häufig um das Wohlergehen ihrer Familien. Sie bemühten sich, sie zu trösten, und baten um Verzeihung für zugefügtes Leid. Einige beschimpften auch Ver- wandte, die sie für ihr Schicksal verantwortlich machten. Manchmal ließen sie ihre Angehörigen auch an ihren Ängsten vor dem Sterben teilhaben. Gläubige fanden Trost und Halt in ihrer Religion. Sonderstation Abschiedsbriefe Die Station zeigt ausgewählte Abschiedbriefe von Hinrichtungsopfern. Einige wurden in deutscher Sprache eingelesen und können vor Ort abgerufen werden. Foto: TU Dresden, Institut für Photogrammetrie, Robert Koschitzki, 2015 Anmerkungen 129 BArchB, R 3018 (alt NJ)/ 13392, Bd. 7, Bl. 33 (Brief, 13.9.1944) und nach Bl. 33 (Begleitzettel für Gefange- nenbriefe). 130 Vgl. Franz Bänsch an Henri Anglès d’Auriac, 22.9.1946, Nachlass Franz Bänsch (Kopie), Archiv GMPD. 131 Vgl. Bericht Franz Bänsch, o.T., o.D. [nach 1945], Nach- lass Franz Bänsch (Kopie), Archiv GMPD.
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