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217 In sowjetischer Hand: Täter –Opfer –Gegner Die von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaf- teten deutschen Zivilisten lassen sich in zwei Kate- gorien einteilen: Nichtverurteilte wurden auf unbe- stimmte Zeit in die Sowjetunion deportiert oder auf dem Gebiet der Besatzungszone in einem Spezial- lager festgehalten. Verurteilte erhielten durch ein Militärtribunal eine Haft- oder Todesstrafe. Bis Frühjahr 1945 wurden bereits Hunderttausende Deutsche aus Osteuropa und den Ostgebieten in die Sowjetunion deportiert. Der Befehl Nr. 00315 der sowjetischen Geheimpolizei NKWD vom 18. April 1945 bildete dann die Grundlage für die Internie- rung von Deutschen in der Sowjetischen Besat- zungszone. Davon betroffen waren vor allem klei- nere und mittlere Funktionsträger der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie später in geringerem Maße auch tatsächliche oder vermeintliche Gegner der politischen Entwicklung in der SBZ/DDR. Die Verhafteten verblieben in der Regel zunächst ei- nige Tage bis Wochen in lokalen NKWD-Gefängnis- sen wie dem am Münchner Platz in Dresden. Das sowjetische Personal nahm die persönlichen Daten auf und führte erste Vernehmungen durch. Danach entschied das NKWD, ob die Verhafteten ohne Pro- zess in ein Speziallager eingewiesen oder nach einem Ermittlungsverfahren vor ein Militärtribunal gestellt werden sollten. Über das Gefängnis am Münchner Platz sind schätzungsweise mehrere Tausend Menschen ab 1945 als Nichtverurteilte in ein Speziallager gekommen. Parallel dazu wurden zwischen 1945 und 1955 35 000 deutsche Zivilisten von sowjetischen Mi litärtribunalen verurteilt. In Dresden fanden Ver- handlungen von SMT in dem Teil des Justizkom plexes am Münchner Platz statt, den die Besat- zungsmacht beschlagnahmt hatte, sowie in dem ebenfalls konfiszierten Heidehof auf der Bautzner Straße. In den Jahren bis 1947 überwogen Verurteilungen wegen NS- und Kriegsverbrechen. Die wirklichen oder vermeintlichen Täter wurden nach sowjeti- schen Bestimmungen wie dem Ukas 43 ( a S. 220) und Artikel 58-2 StGB der RSFSR ( a S. 221), später auch nach alliierten Gesetzen wie dem Kontroll- ratsgesetz Nr. 10 ( a S. 284) verurteilt. Der Arbeit der sowjetischen Repressionsorgane lagen aber nicht nur reelle Delikte zugrunde. Eine möglichst hohe Zahl an Verhaftungen galt als Ausdruck »re- volutionärer Wachsamkeit«. Opfer willkürlicher Inhaftierungen waren in den Nachkriegsjahren vor allem Jugendliche, denen als angebliche »Wer wolf«-Angehörige »Terror und Diversion« oder »gegenrevolutionäre Sabotage« unterstellt wurde. Seit 1947/48 kamen bevorzugt »konterrevolutio- näre Delikte« von Konkurrenten der kommunisti- schen SED oder aktiven Gegnern der gesellschaft- lichen Entwicklung in der SBZ/DDR zur Verhand- lung. GH Quellen K.-D. Müller, in: Weigelt/Müller/Schaarschmidt/ Schmeitzner (2015)
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