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220 1945–1950 vor Gericht Die Sowjetunion wartete nicht gemeinsame alli- ierte Anstrengungen zur Ahndung von Kriegsver- brechen ab. Vielmehr erließ sie mit dem Ukas 43 im April 1943 ein eigenes Kriegsverbrechergesetz. Dieses richtete sich im Wortlaut gegen Taten, die in den »von den deutsch-faschistischen Eroberern befreiten Städten und Dörfern« der Sowjetunion begangen worden waren. Zuvorderst richtete sich der Geheimerlass an die eigene angeblich oder tatsächlich kollaborierende sowjetische Bevölke- rung. Von den bis 1952 ausgesprochenen 81 780 Urteilen nach dem Ukas 43 ergingen nur 25 209 gegen Ausländer. 4 Davon stellten deutsche Kriegs- gefangene mit 20 138 Verurteilten das weitaus größte Kontingent. Mindestens 1 417 deutsche Zi- vilisten wurden von den SMT nach dem Ukas 43 verurteilt, davon 773 zum Tode. In den ersten Nachkriegsjahren wurde diese Straf- norm besonders häufig angewandt. Wie das Bei- spiel des NS-Gauleiters von SachsenMartinMutsch­ mann ( a S. 222) zeigt, fand der Ukas 43 auch An- wendung bei Straftaten gegen Sowjetbürger auf deutschem Boden. Der einzige öffentliche Prozess eines SMT fand im Oktober 1947 gegen Teile der Wachmannschaft des KZ Sachsenhausen statt. Der Inszenierung ent- sprach auch die Anklage auf der Grundlage des Alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 10 5 ( a S. 284). Die Anwendung dieser alliierten Strafnorm sollte die eigene Konsequenz in der Verfolgung von NS-Straftaten auch gegenüber den westlichen Kon- kurrenten verdeutlichen. In den Folgejahren verur- teilten Militärtribunale auf der Grundlage dieses Gesetzes etwa 2 100 deutsche Zivilisten, sechs davon zum Tode. § Ukas 43 »[. . .] Unter Berücksichtigung dessen, daß die Ausschreitungen und Gewalttaten an wehrlosen sowjetischen Bürgern und gefangenen Rotarmisten und Verrat am Vaterland die schändlichsten und schwersten Verbrechen, die abscheulichsten Misse- taten sind, beschließt das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR 1. Anzuordnen, daß die deutschen, italienischen, rumänischen, ungarischen und finnischen Verbrecher, die der Mordtaten an der Zivilbevölkerung und gefan- gener Rotarmisten überführt wurden und auch Spione und Vaterlandsverräter unter den Sowjetbürgern mit der Todesstrafe durch Erhängen bestraft werden. [. . .]« Erlass des Präsidiums des Obers- ten Sowjets über Maßnahmen zur Bestrafung der deutsch-faschisti- schen Übeltäter, die der Ermor- dung und Misshandlung der so­ wjetischen Zivilbevölkerung und der gefangenen Rotarmisten schuldig sind, sowie der Spione und Vaterlandsverräter unter den Sowjetbürgern und deren Helfers- helfer vom 19. April 1943 (Ukas 43, dt. Übersetzung, Auszug) Abgedruckt in: Manfred Zeidler, Stalinjustiz contra NS-Verbrechen. Die Kriegsverbrecherprozesse gegen deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR in den Jahren 1943– 1952. Kenntnisstand und For- schungsprobleme, Dresden 1996, S. 55f.

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