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17 Dresden war während der nationalsozialistischen Diktatur ein wichtiges regionales Justizzentrum. Als Sitz eines Land- und eines Oberlandesgerichts bot es die notwendige Infrastruktur für Prozesse eigener und auswärtiger Gerichte. Todesurteile konnten vor Ort vollstreckt werden. Zwei Gerichts- gefängnisse ermöglichten die Aufnahme größerer Gruppen von Häftlingen. Nach dem 30. Januar 1933 formten die national­ sozialistischen Machthaber das tradierte Rechts- system in ihrem Sinne um. Neue Gerichte und neue Straftatbestände entstanden. Die Aufgaben der weiter existierenden ordentlichen Gerichte änder- ten sich. Gesetze wurden strafverschärfend modi- fiziert. Die Schutzrechte der Angeklagten wurden zunehmend ausgehöhlt. Bereits am 21. März 1933 ordnete die neue Reichs- regierung die Einrichtung eines Sondergerichts in jedemOberlandesgerichtsbezirkan. Diese Spezial­ strafkammern der Landgerichte waren bereits in der Weimarer Republik ausnahmsweise und vor- übergehend zur Wiederherstellung von öffentli- cher Sicherheit und Ordnung eingerichtet worden. Die Sondergerichte sollten möglichst an Ort und Stelle in öffentlicher Sitzung urteilen. Das für den Oberlandesgerichtsbezirk Sachsen in Freiberg ein- gerichtete Sondergericht tagte daher auch im Dresdner Landgerichtsgebäude. Auf der Grundlage der Reichstagsbrandverordnung und der nachfolgend erlassenen Gesetze und Ver- ordnungen konnten die Sondergerichte politische Aktivitäten bis hin zu einzelnen kritischen Äußerun- gen verfolgen. Den organisierten Widerstand aus den Reihen der politischen Linken bekämpfte das NS-Regime unter anderem mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien ( a S. 36). Regime­ kritik wurde als »Heimtücke« ( a S. 89) verfolgt. Anhänger der im April 1933 in Sachsen verbote- nen Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ( a S. 85) mussten sich bei einer Zuwiderhandlung ebenfalls vor dem Sondergericht verantworten. Mit dem im April 1934 gegründeten Volksgerichts- hof (VGH) schufen die Nationalsozialisten eine weitere Instanz zur Bekämpfung des politischen Widerstands. Die parteipolitische Ausrichtung des VGH zeigte sich daran, dass drei der fünf Richter eines Senats ehrenamtliche Laienrichter, zumeist NSDAP-Funktionäre, waren. Wie die Sondergerichte entschied der VGH in erster und letzter Instanz. Seinen Sitz hatte er in Berlin, doch tagten seine Senate auch andernorts, so in Dresden. In der ju- ristischen Praxis spielten ausgewählte Oberlan- desgerichte (OLG), zu denen auch das Dresdner Gericht gehörte, eine wichtige Rolle bei der Verfol- gung des sogenannten Verfassungshochverrats ( a S. 42), da der VGH Verfahren an sie abgeben konnte. Dasselbe galt für die Aburteilung des tschechischen Widerstands gegen die deutsche Fremdherrschaft im wenige Monate vor Kriegs­ beginn errichteten »Protektorat Böhmen und Mäh- ren«. Für dessen strafrechtliche Verfolgung als Gebietshochverrat ( a S. 53) waren ebenfalls der VGH und drei OLG, darunter Dresden, zuständig. In Dresden standen viele Anhänger der ehemaligen Linksparteien, vor allem aber Angehörige des tschechischen Widerstands vor diesen Gerichten. Zentrale politische Zielsetzungen des NS-Regimes, die »Lösung der Judenfrage« und die Schaffung von »Lebensraum im Osten«, fanden 1935 mit den Rassegesetzen ( a S. 71) und 1941 mit der Polen- strafrechtsverordnung ( a S. 65) Eingang in das Strafrecht. An den Landgerichten, so auch in Dres- den, wurden eigene »Blutschutzkammern« einge- richtet, die für Verstöße gegen das gleichnamige Gesetz zuständig waren. Die Polenstrafrechtsver- ordnung schuf ein eigenes »Recht« für die polni- schen »Schutzangehörigen«, das auf »völkischer« Ungleichheit basierte. Falls sie überhaupt von der Justiz und nicht von der Polizei verfolgt wurden, kamen zumeist Gerichte aus den eingegliederten Gebieten selbst zum Zug. Das für bedeutendere politische Verfahren im »Reichsgau Wartheland« zuständige OLG Posen führte einen Teil seiner Pro- zesse in Zwickau, Bautzen und Dresden durch. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erließ das Re- gime zahlreiche neue Verordnungen, die in die Zuständigkeit der Sondergerichte fielen, von der Volksschädlingsverordnung ( a S. 101) über die Kriegswirtschaftsverordnung bis hin zur Rundfunk- verordnung ( a S. 96) und der Verordnung über den verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen ( a S. 79). Nach einer Neuorganisation der Sonder- gerichtsbarkeit wurden im Dresdner Oberlandes- gerichtsbezirk neue Sondergerichte gebildet, die das Freiberger Sondergericht ablösten: zunächst 1940 in Leipzig und Dresden, 1942 dann auch in Chemnitz. Weit gefasste Tatbestände und eine völlige Über- betonung von Schutz und Abschreckung gingen zu Lasten der strafbegrenzenden Funktion des Rechts. Die politisierte Strafjustiz richtete sich gegen alle, vor Gericht Das Landgericht Dresden Foto, um 1910, in: Das Justizgebäude am Münchner Platz in Dresden, Dresden 1911

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