Katalog

75 Normung versus Typung. Bestrebungen für eine einheitliche Maßordnung im Hochbau »Das Wiederkehren bestimmter konstruktiver und architektonischer Elemente führte zu den [...] geschätzten einheitlichen Städtebildern, bei denen das Einzel­ haus keineswegs einer besonderen Gestaltung entbehrte. Im Gegenteil zeigte sich, daß eine große Vielfalt von Lösungen für Grundriss und Gestaltung mit gleichen Einzelteilen möglich war. Genauso gut wie mit handwerklich hergestellten einheit­ lichen Bauelementen gestaltet werden konnte, kann mit industriell vorgefertigten Teilen eine individuelle Lösung erzielt werden.« 1 Selten war das Einführen von einheitlich festgelegten Bauteilmaßen aussichts­ reicher als nach dem Zweiten Weltkrieg, denn die massiven Kriegsauswirkungen auf Baulichkeiten erforderten einen Wiederaufbau in absehbarer Zeit. Das weit­ gehend zerstörte Land mit traditionellen Bauweisen aufzubauen, war nahezu unmöglich. Allein rationellere Baumethoden ließen auf eine baldige Besserung der Versorgungslage hoffen, insbesondere der enormen Wohnungsnot. 2 Einer der Grundsätze rationeller Methoden in der Fertigung ist der Austauschbau, ein Begriff, der sich mit dem Übergang von der handwerklichen zur industriellen Produktion bildete. Er ermöglicht, einzelne Teile eines Ganzen an verschiedenen Orten indus­ triell herzustellen und ohne verteuernde Anpassungsarbeiten an anderer Stelle zusammenzubauen oder auszuwechseln. Voraussetzung dafür ist ein einheitlich für alle Planungs- und Bauprozesse geltendes Maßsystem, das in Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren jedoch noch fehlte. Das Vereinheitlichen von Größen, Abmessungen oder Formen einzelner Bau­ elemente war kein neuer methodischer Ansatz. Schon die Römer hatten Ziegel­ steinnormen; messbare Ordnungen der Teile am Bau gab es in verschiedenen Baustilepochen, beruhten jedoch auf keinem einheitlichen Maßsystem. 3 Eine Viel­ zahl einzelner bautechnischer Normen war im Laufe der Jahrhunderte im Zusam­ menhang mit dem Etablieren der Wissenschaften und der Industrialisierung ent­ standen, die sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem »Maßwirrwarr am Bau« 4 entwickelt hatten; der Mauerziegel etwa wurde nach preußischem Zoll, die Stahlträger nach Zentimetermaßen, die aus England übernommenen Holzprofile nach englischem Zoll bemessen. Auch das Einführen der DIN durch den 1917 – vorrangig zu militärischen Zwecken – gegründeten Normenausschuss der deut­ schen Industrie führte allein in technischen Bereichen zu allgemeingültigen Normen. Nach dem Ersten Weltkrieg gelang ihm – inzwischen in Deutscher Nor­ menausschuss (DNA) umbenannt –, ein übergeordnetes System zu schaffen, durch das die Maße der Normenteile vereinheitlicht, richtig gestuft und damit in zweckmäßige Beziehungen gebracht wurden. Das Bauwesen war davon jedoch ausgeschlossen. Neufert begründete dies mit dem unter den deutschen Architek­ 1 Leopold Wiel, Projektieren nach Katalog; in »Sonntag«, 3. April 1955. 2 1952 wurde der Fehlbestand an Wohnungen in beiden deut­ schen Staaten auf 10 Millionen geschätzt; siehe Kammer der Technik (Hg.), S. 5. 3 Zur Geschichte der Normung siehe Kiencke, S. 5 ff. 4 Neufert [1961], S. 9. √ Entwurf von J. F. Penther aus dem Jahr 1745, bei dem Grundriss, Fassaden und Einzelteile auf einem Grundraster entwickelt wurden.

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