Katalog

77 Alliierten seine Tätigkeit wieder aufgenommen hatte. Seitens der Architekten waren es Ernst Neufert und Martin Mittag, der 1949 die Ergebnisse seiner Bauforschung als »Untersuchungen zur Maßordnung imHochbau« veröffentlicht hatte. Er hatte nach Auswertung seiner und vorhandener Studien 8 das Grundmodul von 12,5 cm für die DIN empfohlen. Auch Heinrich Rettig, Walther Wickop, Walter Henn und Leopold Wiel  9 traten für eine einheitliche Norm als Bemessungsgrundlage ein. Parallel dazu bemühte sich die International Organization for Standardization (ISO) um eine weltweite Lösung, wobei Maßreihen mit einem Grundmodul von 250mm, 300mm und 400mm diskutiert wurden. Die wachsende Systemkonkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunion, die eine massive Blockbildung nach sich zog und 1949 zur Teilung Deutschlands führte, ließ auch im Baugeschehen die ideologischen Gräben tiefer werden. Sie führte in der DDR nicht nur zur strikten Übernahme sowjetischer Leitbilder für Architektur und Stadtbaukunst, sondern auch bautechnischer Belange. Schon bald zeichnete sich die ablehnende Haltung der neuen politischen Führung der DDR gegenüber der »Maßordnung imHochbau« und die Übernahme des sowjetischen Dezimalsystems ab. Der Durchbruch zugunsten einer deutsch-deutschen Lösung schien aber er­ reicht, als am 5. Februar 1952 die Maßordnung im Hochbau (DIN 4172) gleichzei­ tig in der DDR und der BRD eingeführt wurde. Mit ihr galt für die Bestimmung der Baurichtmaße das von Mittag empfohlene Grundmodul als Bemessungsgrundlage für die Bauplanung und Bauausführung. Die für die inhaltliche Ausrichtung des Bauens in der DDR zuständige Deutsche Bauakademie 10 forcierte jedoch weiterhin eine Anlehnung an sowjetische Normen, was eine heftige Auseinandersetzung zwischen den Fürsprechern der DIN-gerechten Norm und den Funktionären der Bauakademie zur Folge hatte. 11 Mit demWissen, dass unter den Bauausführenden der DDR das geltende okta­ metrische System favorisiert wurde, weil es – wenn auch noch nicht einheitlich angewandt – bei vielen Bauelementen bereits eingeführt war, warb Wiel in zahlrei­ chen Vorträgen für die in DIN 4172 geregelte Ordnung des Baugefüges. Auf Einla­ dung der Kammer der Technik referierte er in dieser Zeit in nahezu allen Bezirken der DDR über Standardisierung und Normierung der Bauelemente, die zu Schlüs­ selbegriffen des künftigen Entwerfens werden sollten. Basierend auf dem Grund­ modul sei es möglich, die wichtigsten Abmessungen der Gebäude zu bestimmen und ein Rastersystem festzulegen, das die wirtschaftlichste Ausführung der Ge­ bäude gewährleiste. Dabei sei das Reduzieren der verschiedenen Größen auf ein Minimum zwingend notwendig, um ein rationelles Zusammenfügen der Bauteile zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang warnte er auch vor Monotonie in Architektur und Städtebau, vor der sich Kritiker des genormten Bauens ängstigten. Die Aufgabe des Architekten sei weiterhin das Entwickeln von vielseitigen Grund­ rissen sowie das unterschiedliche Gestalten der Baukörper und Fassaden, ohne dabei in Widerspruch zu einer rationellen, industriellen Fertigung zu geraten. Aus diesem Grund müsse dem Architekten größte Freiheit in der Raumaufteilung und in der Gestaltung zugebilligt werden. Gleichzeitig solle er sich verpflichtet fühlen, vorwiegend in der Serien- und Massenfertigung hergestellte konstruktive Einzel­ teile vorzusehen. Zur Veranschaulichung seiner Ausführungen verwies Wiel auf die bedeutendsten Epochen der Baugeschichte, in denen nach einheitlichen konstruk­ tiven Systemen und nach einheitlichen Modulen geplant worden sei, ohne dass dies zum Schematismus geführt habe. 12 8 U. a. die Untersuchungen zu menschlichen Körpermaßen und Proportionssystemen von Charles George Ramsey und Harold Reeve Sleeper (1932), Le Corbusier (1942–1955) oder Ernst Neufert (1943); siehe Mittag, S. 5 ff. 9 Bis auf den am Institut für Bauforschung von Hannover tätigen Martin Mittag waren die genannten Professoren für Baukonstruktionen oder Werklehre an namhaften Architekturabteilungen Tech­ nischer Hochschulen – Neu­ fert in Darmstadt, Wickop in Hannover, Henn (bis 1953), Rettig und Wiel in Dresden – und befassten sich mit Aspek­ ten des industriellen Bauens. 10 Die Deutsche Bauakademie wurde am 1. Januar 1951 laut § 12 des Aufbaugesetzes aus dem Institut für Städtebau und Hochbau beim Ministe­ rium für Aufbau und dem Ins­ titut für Bauwesen bei der Deutschen Akademie der Wis­ senschaften als zentrale wis­ senschaftliche Forschungsein­ richtung für die Entwicklung von Architektur und Städtebau in der DDR gegründet, siehe »Gesetz über den Aufbau der Städte in der Deutschen Demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands, Berlin (Aufbaugesetz)«; BArch, DH1/1258. 11 Dem Ministerium für Aufbau, ab 1953 dem Ministerrat der DDR direkt unterstellt, war die Deutsche Bauakademie unmit­ telbar in das Politgeschehen der DDR eingebunden.

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