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134 Gewölbe und Pfeiler einstürzten. Erhalten blieben die Umfassungsmauern, Türme, Grüfte, auch Teile der Ausstattung und der Helm des kleinen Südturmes. Viele Jahre prägte so die Sophienkirche das Bild des Postplatzes, nicht wenige empfan­ den wie Leopold Wiel bei seinem ersten Besuch der zerstörten Stadt, dass sie gerade in dieser Form als Mahnmal erhaltenswert sei. 4 Der nach Kriegsende nicht in Erwägung gezogene Wiederaufbau der Sophien­ kirche ist zunächst auch einer Fehleinschätzung ihres kulturhistorischen Wertes geschuldet. Das neugotische Erscheinungsbild vermittelte eine Entstehungszeit im 19. Jahrhundert und wurde entsprechend als Historismus geringgeschätzt. Zahlreiche Stellungnahmen von Hans Nadler, Fritz Löffler und anderen Gleichge­ sinnten zur historischen Bedeutung des Sakralbaus für die kulturelle Identität von Dresden blieben ungehört, 5 obwohl er nach der Verordnung zum Schutze natio­ naler Kulturdenkmale vom 26. Juni 1952 als Baudenkmal zu bewerten war. Bereits unmittelbar nach Nachkriegsende wurde die Ruine im Rahmen der von Oberbür­ germeister Walter Weidauer vorangetriebenen Großflächenenttrümmerung der Dresdner Innenstadt in Frage gestellt. Dies verschärfte sich nach der Gründung der DDR, da das Planungs- und Baugeschehen zunehmend durch Fragen einer sozialistischen Städtebaukonzeption bestimmt wurde. Alte, großbürgerliche Struk­ turen wurden als genauso störend empfunden wie sakrale Räume. Rechtlich legi­ timiert wurde die einem Kahlschlag gleichkommende Beräumung mit dem 1950 erlassenen Aufbaugesetz der DDR, das Enteignungen zuließ, um Planungsfreiheit zu schaffen. Dennoch blieb die Ruine der Sophienkirche während der Ideenfindung für die Neugestaltung der Wilsdruffer Straße als Demonstrationsstraße sowie für die Neuordnung des Stadtverkehrs unangetastet. Es war dem hartnäckigen Kampf der Denkmalpfleger und – abgesehen von Altmarkt und Magistrale – auch den noch traditionsbewussten Planungen von Chefarchitekt Herbert Schneider zu ver­ danken, dass die Sophienkirche von der flächendeckenden Trümmerberäumung vorerst ausgenommen wurde. 6 Nach einer Sitzung der SED-Stadtleitung am 11. August 1956 wurden jedoch die ideologisch motivierten Forderungen lauter, die Ruine der Sophienkirche endlich für den geplanten Aufbau der sozialistischen Großstadt Dresden aufzugeben. Die entscheidende Phase folgte zwei Jahre später im Rahmen der Erstellung des Zen­ trums-Teilbebauungsplanes. 7 In diesem Zusammenhang wurde Leopold Wiel mit neuen Plänen konfrontiert, die endgültig den Abbruch der Kirchenruine vorsahen. Die Bewertung der vom Stadtbauamt der Stadt Dresden erstellten städtebaulichen Planung übernahm die »Kommission Zentrum«, der auch Wiel angehörte. Auf der Sitzung am 22. Oktober 1958 intervenierte er gegen diese Konzeption und stimmte auch als einziger gegen den Abriss der Sophienkirche. Wiel erhielt kein Protokoll der Sitzung. Erst nach dem Ende der DDR erfuhr er durch Recherchen von Matthias Lerm, dass zwei Protokolle erstellt worden waren. Aus dem ersten geht hervor, dass die Kommissionsmitglieder mit Ausnahme von Wiel dem Abriss der Sophien­ kirche zustimmten. In dem zweiten, geänderten Protokoll wurde seine Gegen­ stimme nicht erwähnt, um aufgrund des enormen politischen Drucks eine Einstim­ migkeit für den Abbruch der ältesten Kirche Dresdens vorzutäuschen. 8 Mit Beharrlichkeit und geschicktem Taktieren versuchte Wiel, Möglichkeiten des Einbindens der besonders wertvollen Bauwerke in das neue Stadtbild aufzu­ zeigen. Was beim Taschenbergpalais gelang, schlug bei der Sophienkirche leider fehl. Seine Vorzugslösung, die Ruine als Erinnerungsort in ihrer zerstörten Form 4 Siehe Leopold Wiel, Nieder­ schrift vom 16. Juli 2001; Archiv Prof. Wiel und Lerm (Anm. 3). 5 Siehe Gisela Rudat, Mein Vater; in: Verein Ländliche Bau­ werte in Sachsen e.V. (Hg.), S. 77 ff. 6 Siehe Stellungnahme von Fritz Löffler an den Oberbürger­ meister Herbert Gute aus dem Jahr 1959; Abschrift abge­ druckt in: Gesellschaft zur Förderung einer Gedenkstätte für die Sophienkirche Dresden e. V. (Hg.), Kalenderblätter 2002 zur Geschichte der Sophienkirche, Kalenderblatt August, Dresden 2001. 7 Siehe »Statt Abrisskampag­ nen. Entwürfe für eine Aneig­ nung identitätsstiftender Baudenkmale in Dresden« im vorliegenden Band. 8 Siehe Rat der Stadt Dresden, Niederschriften über die 1. und 2. Sitzung der »Kommis­ sion Zentrum Dresden« im Oktober 1958; StadtAD, 4.2.17/213.

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