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Sandra Petersmann zu uns kommt«, sagt der Italiener und untermalt jedes Wort mit star- ken Gesten. »Okay, natürlich macht mich das innerlich immer sehr traurig, aber ich sage mir gleichzeitig: In drei Wochen wird dieser Junge mit unseren Prothesen wieder laufen können.« Er zeigt auf Khyali und lächelt ihn an. Alberto Cairo leitet das Orthopädieprogramm des IKRK in Afgha- nistan. Er ist Anfang 60, lebt seit 1990 in Kabul und nennt Afghanis- tan sein Zuhause. Er erlebt die Grausamkeit des Krieges hautnah und hat sich doch in das Land und seine Menschen verliebt. »Das ist ganz langsam passiert, ich weiß gar nicht so genau, wie und wann. Die Menschen hier haben so gelitten, dass wir einfach etwas für sie tun mussten. Diese Aufgabe nimmt mich bis heute komplett gefangen.« Der Italiener hat in Afghanistan Machthaber und Kriegsfürsten kommen und gehen sehen: Die Mudschaheddin, die nach dem Ab- zug der sowjetischen Besatzungstruppen ohne Gnade um die Macht kämpften. Die Taliban, die nach eigenen Angaben antraten, um das Gemetzel des Bürgerkriegs zu stoppen. Den Einmarsch der west­ lichen Truppen, die Al-Qaida zerstören und das Taliban-Regime stürzen wollten. In all den Jahren hat Alberto Cairo nie einen Gedanken daran ver- schwendet, Afghanistan zu verlassen: »Wir sehen Leute in Uniformen, in Anzügen und mit Bärten und mit Turbanen. Wir wussten über die Jahre immer, wenn sich draußen etwas verändert hat, aber unsere Arbeit hier im Zentrum ist immer die gleiche geblieben. Patienten sind Patienten. Ganz egal, ob Zivilisten, Soldaten oder Taliban. Das macht für uns keinen Unterschied. Manchmal war die Arbeit schwieriger, aber wenn du nützlich bist, dann wirst du von allen respektiert. Wir sind nützlich. Alle wollen, dass wir weitermachen.« Durch den Tritt auf eine Antipersonenmine verlor der elfjährige Khyali beide Beine. Im Orthopädie­ zentrum in Kabul trainiert er den Umgang mit seinen Prothesen. 52

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