Katalog
DER SAMMLUNGSBESTAND Vielzahl und Vielfalt sind Kennzeichen der Prothetik-Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums. Das gilt in gesteigertem Maße für deren Kern: die Prothesen. Das Gros des Bestands umfasst Kunst- glieder für amputierte Gliedmaßen, die aus dem Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart stammen. Die Mehrzahl der Objekte kam durch die Schenkung des Ortho- pädiemechanikers Klaus Dittmer in den Bestand. Er sammelte aus einer technisch versierten Perspektive, eruierte die zugehörigen Krankheitsverläufe und Lebenswege der Nutzer_innen. Auch wenn der alltägliche Umgang mit den Hilfsmitteln nur vereinzelt dokumen- tiert wurde, bietet dieser Bestand einen guten Ausgangspunkt, um dem Leben mit Prothesen nachzugehen. Weitere Objekte gelangten über Ausstellungen in die Sammlung oder wurden von Einzelperso- nen dem Museum übergeben. Neben Krankheiten, Unfällen und angeborenen Fehlbildungen der Gliedmaßen sind Kriegsverletzungen die Hauptursache von Ampu- tationen. Daher wurden chirurgische Methoden und der Prothesen- bau oft in und unmittelbar nach Kriegen weiterentwickelt. 6 Die älteste Prothese in der Sammlung datiert auf 1870. Ein Zusammenhang mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 lässt sich allerdings nicht nachweisen. Das lange 19. Jahrhundert, S. 24 Auch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Prothesen vorhanden. Die meisten stammen von Männern und – dem Sammelschwerpunkt Klaus Dittmers entsprechend – aus der Zeit nach 1945. Von etlichen Trägern ist bekannt, dass ihre Amputationen auf Verletzungen zu- rückgingen, die sie im Zweiten Weltkrieg davongetragen hatten. Auch die weiteren Lebenswege sind dokumentiert, insbesondere berufliche Werdegänge als Kraftfahrer, Lehrer oder Richter. Der Koffer, S. 78 und Musterbiografie der Nachkriegszeit, S. 74 Die Erwerbsbiografien der wenigen Frauen, deren Prothesen sich im Bestand befinden, bleiben allerdings im Dunkeln. Eine Reihe von Kunstgliedern verweist auf aktuelle Herausforderungen im globalen Kontext: Prothesen, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz an Menschen ausgegeben hat, die auf Landminen getreten sind und dabei schwerste Verletzungen erlitten haben. Weitergehen – mitten im Krieg, S. 49 Die Prothesen im Bestand gliedern sich grob in Kunstglieder für die oberen und solche für die unteren Extremitäten. Dabei sind quan- titativ mehr Beinprothesen vorhanden. In der Sammlung gibt es etwa 170 Beinprothesen, -passteile und -schäfte sowie rund 110 Arm- prothesen und -passteile. Kunstbeine bestehen aus verschiedenen Materialien und Kompo- nenten. Wichtig für die Standsicherheit und Bewegungsfreiheit sind die Kniegelenke und Prothesenfüße. Abb. 12 Von besonderer Bedeutung für die Anpassung ist die Einbettung des Amputations- 68
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