Katalog
»Alle Museen gründen auf der Hoffnung – auf der Überzeugung – dass das Studium der Dinge zu einem besseren Verständnis der Welt führen kann.« Neil MacGregor 1 Was, so könnte man zweifelnd fragen, trägt die Untersuchung einer Beinprothese aus dem Jahr 1969 2 oder die eines 0,13 Gramm leich- ten Magnetimplantats 3 zum Verständnis der Welt bei? Beinprothese und Magnet gehören zur körperhistorischen Samm- lung des Deutschen Hygiene-Museums, in der aktuell etwa 700 Ob- jekte einer Geschichte der technischen Hilfsmittel und künstlichen Körperteile zugeordnet werden können. Charakteristisch für diese Prothetik-Sammlung aus dem Zeitraum vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart sind ihr bemerkenswerter Umfang und ihr Facetten- reichtum. Bevor die Prothesen, Orthesen, Implantate, Geh-, Steh- und Sitzhilfen in den Zustand von Museumsobjekten transformiert wurden, waren sie zur Erfüllung von sehr unterschiedlichen Aufgaben hergestellt und größtenteils auch verwendet worden. Sie ersetzten amputierte Körperteile, ergänzten als unzulänglich wahrgenommene Körper, kompensierten und optimierten Körperfunktionen. Der Erwerb dieser Objekte basiert grundsätzlich auf einer vermu- teten besonderen Bedeutung für den Sammlungsbestand: Ein dezi- diertes Erwerbsinteresse besteht, wenn es sich um im Alltag verwen- dete Gebrauchsgegenstände handelt, die den zeitgebundenen Umgang mit dem Körper bezeugen. Diese Anforderungen erfüllen Prothesen, Orthesen und Implantate auf hervorragende Weise. Sie umkreisen die Schnittstelle zwischen Körper und Technik und doku- mentieren die stetige Verschiebung der Grenzen zwischen mensch- licher Technik und technisiertem Körper. Es handelt sich um Objek- te mit (körper-)historischem Gewicht; aus diesem Grund sind sie im Deutschen Hygiene-Museum gut verortet. Die Erwerbsgeschichten zu den einzelnen Objekten und Konvolu- ten sind sehr verschieden. Von wesentlicher Bedeutung für den Auf- bau der Prothetik-Sammlung war die großzügige Schenkung meh- rerer Hundert historischer Objekte durch den Berliner Orthopädie- mechanikermeister Klaus Dittmer im Jahr 2007 an das Museum. Oft ist der Sammler auch den Geschichten der ehemaligen Nutzer_innen nachgegangen. Da etliche Prothesen und Orthesen im Zusammen- hang mit schweren Verletzungen im Umfeld des Zweiten Weltkriegs EINE SAMMLUNG ZUR PROTHETIK EINLEITUNG e e Abb. 2 Arbeits- und Kosmetikhand Kellerklaue, um 1940 (Inv.-Nr. 2006/281) und Kosmetikhandschuh »BARBARA«, 1986 (Inv.-Nr. 2013/689) 9
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