Katalog
Das Reale ist das Surreale – und umgekehrt 25 gleichsam durchsengt hat« 2 . Dadurch wird das fast mythische Versprechen geweckt, als sei es die Wirklichkeit selbst, die zum Bild geworden ist. Durch die optochemische Lichtauf- zeichnung werde das ontologische Band von Bild und Gegenstand unzerreißbar. Die Foto grafie wäre dann eine Emanation des Gegenstands, als sei die lichtempfindliche Fläche wie das Schweißtuch der Veronika fähig zur Aufnahme des vera ikon . Nüchterner wird von der fotografischen Indexikalität gesprochen oder pathetisch vom Punctum, wie es Roland Barthes tut. 3 Stets wird damit ein Realismus versprochen, den keine andere Kunstgattung einzulösen vermag. Und immer wird der Aura-Verlust der Fotografie kompensiert durch die Atmosphäre der Präsenz. Sie wird gerade der Fotografie zugesprochen, die mit ihrem Realismus zugleich die abgründige Unwirklichkeit der Wirklichkeit aufzudecken vermögen soll. Darum auch kann ein Fotograf wie Brassaï (eigentlich Gyula Halász), wahrlich ein realistischer Fotograf, ohne Weiteres dem Surrealismus zugerechnet werden (Abb. S. 26). So publizierte Brassaï in der berühmten surrealistischen Zeitschrift Le Minotaure ( No. 3/4, 1933) Fotos von Kratzbildern auf Pariser Mauern. Konnte es trivialer und zugleich anspruchsvoller zugehen? Ein kurzer Text von Brassaï Du mur des cavernes au mur d’usine (Von der Höhlenmauer zur Fabrikmauer) begleitete die Fotografien. Die Verwandtschaft zur Höhlenmalerei, aber auch zu babylonischen oder ägyptischen Mauer- und Ritz-Bildern sollte einen überhistorischen Formzusammenhang zwischen den Bildtechniken der sogenannten primitiven Kulturen, den städtischen Graffitis, der Kinderzeichnung und dem Neo-Primitivismus der modernen Kunst demonstrieren. Die ethnologischen, urbanistischen und kunsttheoretischen Interessen des Eugène Atget Straße am Hôtel de Sens in Paris · 1921
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