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85 eit der Anfrage bildeten die Ablässe der Stiftskirche Königs- lutter: Inwiefern sind diese tatsächlich widerrufen? – So hatte es der Briefschreiber gehört. Mit dem jährlich am Peter- und Paulstag (29.Juni) in Königslutter verkünde- ten Ablass sprach Hanner eine Kirche an, die sich im Laufe des 15.Jahrhunderts zum bedeutendsten Wall- fahrtsort imBraunschweiger Raumentwickelt hatte.Die dort erworbenen Pilgerzeichen trugen ihre Besucher bis nach Gotland, Norwegen und in die Niederlande, wo sie in den letzten Jahrzehnten als archäologische Funde wiederentdeckt wurden. 6 In den drängenden Fragen zum Ablass hat man bereits einen Reflex auf die gleichzeitige Verkündigung des Petersablasses im benachbarten Erzstift Magdeburg durch Johann Tetzel sehen wollen, was wohl nicht zutrifft. 7 Freilich zeigt sich in den Fragen des hochgebil- deten Priesters Hanner eine starke Verunsicherung über die Wirksamkeit der Ablässe, die eigentlich dem Trost unruhiger Gewissen und der Motivation zu einembesse- ren christlichen Leben dienen sollten. 8 Aber der Ablass hatte sich im Spätmittelalter zu einem komplexen Sys- tementwickelt, in dem sich die Seelsorge wohl überwie- gend verantwortungsvoller Priester, die Theoriebildung universitärer Theologen, Interessen kirchlicher undwelt- licher Gruppen sowie der Finanzbedarf verschiedener Institutionen auf eine schwer zu trennende Weise ver- quickt hatten. An Hanners Fragen ist abzulesen, dass schon vor Luthers Ablassthesen Geistliche und sicher auch Laien von grundlegenden Fragen nach dem »Wert der Ablässe« umgetrieben wurden und dass besonders die Praxis, während der vomPapst genehmigten Ablass- kampagnen bereits bestehende Ablässe außer Kraft zu setzen, Unsicherheiten auslöste. Welches Interesse an diesen Fragen bestand, zeigte sich ein Jahr später, als der Braunschweiger Drucker Hans Dorn eine niederdeutsche Ausgabe der ersten Erfolgs­ schrift Luthers, des »Sermons von Ablass und Gnade«, zum Druck brachte. In ihr hatte Luther im Frühjahr 1518 die Argumentation seiner Ablassthesen für ein breites Publikum in der Volkssprache dargelegt. Freilich präsen- tiert diese Publikation kaum die reformatorische Über- zeugung des Hans Dorn, denn er druckte, was sich gut verkaufen ließ.Und dazu gehörte 1518 zumBeispiel auch ein Santiago-Pilgerführer in niederdeutscher Sprache. Welche Folgen die eben ausgebrochene Diskussion um den Ablass für Kirche und Gesellschaft habenwürde, ließ sich 1518 noch nicht absehen. Hartmut Kühne Anmerkungen 1 Vgl. u.a. Bünz/Kühne 2013; Bünz 2015 (mit ausführlichem Literaturbericht); Kühne 2015. 2 Moeller 1988, S.36–46; einen grundlegenden Impuls bildete der Aufsatz Moellers 1965, wieder abgedruckt in: Moeller 1991. 3 Edition bei Bräuer/Kobuch 2010, S.14–18; zu Müntzer in Braunschweig vgl.: Bubenheimer 1989, S.66–144; Bubenheimer 2014; Bräuer/Vogler 2016, S.49–63. 4 Vgl. Heepe 1913; ein knapper Überblick bei Jürgens 2003, S.9f. 5 Vgl. Bräuer 1994, wieder abgedruckt in Bräuer 2000. 6 Vgl. Naß 1991; Kühne/Brumme 2010, bes. S.48–78. 7 Vgl. Kühne/Brumme 2010, S.41–47, zustimmend Bräuer/ Kobuch 2010, S.17, Anm.14; Bubenheimer 2014, S.18. 8 Eine kirchen- und theologiegeschichtliche Neubewertung des Ablasses versuchte Hamm 2016, im Rückgriff auf die Forschung des letzten Jahrhunderts.

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