Katalog

176 ti an der Michaeliskirche nachweisbar. Durch spätere Briefwechsel Braunschweiger Bürger mit Müntzer ist bekannt, dass Luthers Schriften hier erstaunlich schnell nach ihremErscheinen verfügbar waren und innerhalb von Bürgerschaft und Geistlichkeit auch rezipiert wurden. Für ganz Niedersachsen von Bedeutung ist das Wirken des Braunschweiger Benediktinermönchs Gottschalk Kruse, der nach Studium in Erfurt und Wittenberg 1522 imAegidienkloster Vorlesungen über dasMatthäusevan- gelium zu halten begann, die auch unter den Bürgern auf erhebliche Resonanz stießen. Aus der Feder Kruses, der 1523 Braunschweig verlassen musste und als Reforma- tor in Celle undHarburgwirkte, stammt auch die früheste reformatorische Schrift aus Niedersachsen, die 1522 unter demTitel »Van adams vnd vnsem valle vnd wedder vperstandinghe« (Von Adams und unserem Fall und Wiederauferstehung) in Braunschweig bei Hans Dorn gedruckt wurde. Die Propagierung reformatorischer Gedanken hatte die Infragestellung des bestehenden kommunalen Kirchen- wesens zur Konsequenz und dies musste zwangsläufig zumKonflikt mit den Sachwaltern dieses Kirchenwesens führen: der etablierten Geistlichkeit und den die politi- sche Verantwortung tragenden städtischen Räten. Für die Räte war es handlungsleitend, einerseits den inner- städtischen Frieden zu wahren und andererseits die Stadt nicht in Auseinandersetzungenmit demKaiser bzw. dem eigenen Stadtherrn zu verwickeln. Dies geschah in der Absicht, Schaden von der Stadt abzuwenden. Der innere Konflikt wurde in der Regel zunächst auf dem Verhandlungsweg ausgetragen. Bei diesen Verhandlun- gen verliehen nicht selten zu diesem Zweck gebildete Bürgerausschüsse den reformatorischen Forderungen der Bürgerschaft Nachdruck. So forderten in Goslar Ver- treter von Stadtgemeinde und Gilden 1525 unter ande- rem die Einführung der evangelischen Predigt. In Braun- schweig griffen schon ein Jahr zuvor theologisch gebil- dete Bürger, unter ihnen der Jurist Autor Sander, in ein zur Verurteilung von Luthers Schriften abgehaltenes Provinzialkapitel der Franziskaner ein. Wenige Jahre später waren es die Bürger der Teilstadt Hagen, die dem Rat ein weitgehendes Reformprogramm vorlegten und dieses auch durchsetzten. In Hannover lehnte der Rat jede reformatorische Neue- rung zunächst strikt ab und flüchtete vor den immer dringlicher vorgetragenen Forderungen der Bürgerschaft nach einer Änderung des Kirchenwesens 1532 nach Hil- desheim. Der Übertritt zum evangelischen Glauben erfolgte, nachdem die kritische Situation eines Macht- vakuums überstanden war, 1533 mit dem sogenannten Bürgerschaftsschwur. War die Entscheidung für die Reformation durch den Rat einmal getroffen, kam es da­ rauf an, eine geeignete Persönlichkeit zu finden, die in der Lage war, das jeweilige Kirchenwesen glaubhaft und nachhaltig umzugestalten. Die städtischen Kirchenord- nungen waren bei Weitem nicht auf Fragen des Gottes- dienstes beschränkt, sondern stellten den gesamten Aufbau der Kirche, ihre wirtschaftliche Basis, das städ- tische Bildungswesen und die soziale Fürsorge auf eine neue Grundlage. Als mit diesen Aufgaben betraute »Stadtreformatoren« haben in den Städten Südostnie- dersachsens hervorragende Persönlichkeiten gewirkt, zum Beispiel Johannes Bugenhagen (Braunschweig, Hildesheim), Urbanus Rhegius (Lüneburg, Hannover) oder Nikolaus von Amsdorf (Goslar). Die erste Kirchenordnung wurde am 5. September 1528 von Johannes Bugenhagen in Braunschweig verkündet. Der Wittenberger Stadtpfarrer und Luthervertraute Bu­ genhagen war nur zur Erarbeitung dieser Ordnung für wenigeMonate an die Oker gekommen.Die Braunschwei- ger Kirchenordnung sollte vorbildhaft für die anschlie- ßend durch Bugenhagen vorgenommene Neuordnung des Kirchenwesens in Hamburg und Lübeck sowie in Skandinavien sein. In den 1540er Jahren schuf Bugen­ hagen noch die Kirchenordnung der erst spät zumneuen Glauben übergetretenen Stadt Hildesheim.

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