Katalog
178 Der Prophet im Bild 66 Martin Luther als Augustiner- mönch vor einer Nische Lucas Cranach d.Ä., 1520 Kupferstich, 16,5 ×11,5 cm Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, LCranach d.Ä. AB 3.7K Der datierte und mit Cranachs Wappenbild signierte Kup- ferstich von 1520, der Martin Luther als Augustinermönch in Halbfigur und im Dreiviertelprofil nach links vor einer Nische darstellt, ist das erste offizielle Bildnis des Reforma tors, das nach dem Willen des kürfürstlich-sächsischen Hofes inWittenberg verbreitet wurde. Ein zweiter, ebenfalls 1520 datierter, heute ungleich prominenterer Stich, der nur die Büste Luthers zeigt und kurz zuvor geschaffen worden sein dürfte, kam zunächst nicht zur Veröffentlichung. Im Basler Katalog der Cranach-Ausstellung von 1974 hat Dieter Koepplin anhand der Wasserzeichen offengelegt, dass nur drei Probedrucke des ersten und zweiten Zustands dieses Blattes zu Luthers und Cranachs Lebzeiten entstanden sind; die etwa 30 Exemplare des (endgültigen) dritten Zustands stammen aus dem späteren 16. Jahrhundert. Offenbar ver- mittelte das unterdrückte Porträt nicht die gewünschte Vorstellung des aufsehenerregenden, kirchenkritischen Mönchs, der 1520mit seinen reformatorischenHauptschrif- ten hervorgetreten war und in demselben Jahr die Bann androhungsbulle erhalten (und verbrannt) hatte. Anders das zweite Blatt, das publiziert und unverzüglich kopiert wurde. Vor einer die Gestalt über- und hinterfangenden Rundbo- gennische, die sich nach links hin verschattet, steht Luther hell und körperhaft, durch das von links oben einfallende Licht frontal getroffen, mit empor gerichtetem Blick. Vor sich ein aufgeschlagenes Buch, hat er, wie es scheint, eben sein Gesicht mit markanten, dabei offenen und milden Zügen ganz der außerbildlichen Lichtquelle zugewandt, während die bis in Brusthöhe erhobene Linke angesichts der Blickrichtung und der fest geschlossenen Lippen wohl keinen Redegestus meint, sondern als Ausdruck der Demut, auch der Ergriffenheit und Hingabe verstanden werden soll. Als Bezugspunkt des Emporschauenden ist mit der Bedeu- tung eines von oben herabströmenden Lichts als Himmels- licht vor dem Hintergrund der christlichen (und konkret: der Heiligen-)Ikonografie unmissverständlich Gott zu be greifen. Unmittelbar Gott zugewandt und vom (göttlichen) Licht überstrahlt, erscheint der Mönch, der von seinem Buch – mutmaßlich der Heiligen Schrift – aufsieht und im Ganzen nicht das Bild eines Eiferers oder (ketzerischen) Agi- tators, sondern das eines kontemplativen, wenn auch festen Charakters bietet. Die Kopie des Stichs von Hans Baldung Grien, der in einemHolzschnitt bereits 1521 Luthers Porträt mit einemNimbus und einer über dessenHaupt schweben- den Heilig-Geist-Taube ausstattete, bringt explizit und in gesteigerter Form zum Ausdruck, was Cranach immerhin zeichenhaft andeutete. Die Beischrift, die von Georg Spalatin stammen dürfte (AK Lucas Cranach 2015, Bd. 1, Nr. 36, S. 93/95), besagt: »Die ewigen Abbilder seines Geistes bringt Luther selbst hervor, die sterblichen Züge aber das Wachs des Lucas.« Im An schluss an antike Topoi wird damit gegenüber der Wieder- gabe von Luthers äußerer Erscheinung – die noch immer ein ansehnliches Werk des Künstlers sein kann – die im Geistigen liegende Leistung des Porträtierten als das Grö- ßere kenntlich gemacht. Thomas Noll Lit.: AK Lukas Cranach 2015, Nr.35f.; van Gülpen 2002; Warnke 1984, S.24–39
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