Katalog
20 Stefan Dornheim anzustossen; und das bedingte einen ausgedehn ten, sorgfältig gesiebten und ausbalancierten Ver kehr sowohl mit preussischen wie mit sächsischen Spitzen der Gesellschaft, in den wir hineingezogen wurden.« Dazu bedurfte es eines kleinen Hofstaa tes, welcher die Prinzen in Leipzig ständig umgab, ihnen in gesellschaftlichen Fragen beratend zur Seite stand und über die Wahrung der höfischen Formen wachte. Major Freiherr Werner Christoph von Reitzenstein, ein geschätzter Grandseigneur und dessen Frau Elisabeth, geb. von Minckwitz waren dazu eingesetzt worden. Neben ihnen tauchte gelegentlich eine Reihe von jungen Offi zieren und Hofmarschällen auf. Die Anwesenheit der beiden Prinzen an der Universität Leipzig, so Kessler, provozierte manche komische Situation. Besonders der diplomatische Auftrag, Leipziger Sympathien zu gewinnen, habe in unlösbaremWiderspruch zur »ganz und gar nicht auf Diplomatie und verbindliche Kompromisse eingestellten Persönlichkeit« des Prinzen Johann Georg gestanden und »fortlaufend kleine lustspiel hafte Spannungen und Entladungen« gezeitigt. »Dabei befleissigte sich der Prinz eines schlicht bür gerlichen Auftretens, war äußerst gutmütig, säch selte von Haus aus ganz natürlich, dichtete freundliche Gedichte und einmal sogar ein Trauerspiel ›Pontius Pilatus‹ und besass einen Berg von Kenntnissen, die ihm zu restloser Anerkennung bei den Professoren verholfen hätten, wenn er nicht von Zeit zu Zeit aus diesem Gaurisankar [= Gipfel im Himalaya, Anm. d. Verf.] von theologischer und kunst geschichtlicher Gelehrsamkeit einen Klumpen herausgebrochen und einem ins Gespräch gezogenen Reichsgerichtsrat oder nichtsahnenden Professor der Biologie auf den Schädel geschmettert hätte. Doch war er, was schon selten zu werden anfing, ein Charakter, aufrecht und seinen Freunden und Meinungen unter schwierigen Umständen treu. Bei uns genoss er daher Achtung und Freundschaft; aber auf manche Leipziger wirkte er wie ein Fremder […]«. Kessler skizziert auch seinen Eindruck von Prinz Max: »Der jüngere Prinz war äußerlich viel bescheidener, ein frischer hübscher Junge, der geistig weniger hoch flog als sein Bruder, aber im Gegensatz zu diesem ein glühendes Interesse für soziale Fragen hatte. Äußerlich gab er sich als junger, unbekümmerter Prinz, der für jeden Studentenulk zu haben war; doch wenn man ihn beobachtete, merkte man, dass er unwahrscheinlich rein und noch katholischer als sein Bruder war. Man musste ihn gern haben, und doch fühlte man, dass er, wie gewisse blonde Infanten von Velasquez, seelisch sonderbar verschlossen und unzugänglich war.« Der mit Johann Georg in vielen Interessensbereichen verbundene Bruder Max widmete sich nach seiner Primiz zunächst seelsorgerlichen Tätigkeiten in England, Eichstätt und Nürnberg. Ab 1900 übernahm er eine Theologieprofessur in Fribourg (Schweiz). Mit Prinz Johann Georg von Sachsen, Fotografie, um 1881
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