Katalog
65 Alexander Hänel Prinz Johann Georg unternahm während seines Lebens zahlreiche Reisen, die ihn unter anderem nach Italien, der Schweiz, England, Frankreich, Spanien, Russland, Polen, Ungarn, Griechenland, der Türkei, Tunesien, Ägypten, Syrien, dem Libanon und Palästina führten. Damit steht der Wettiner in einer langen Tradition. Schon viele seiner Vorfahren hatten ausgedehnte Reisen in ferne Länder unternommen; schließlich gehörte das Kennenlernen fremder Kulturen zum Bildungsprogramm eines jeden jungen Adligen. Besonders pompös war die zweijährige »Grand Tour« Augusts des Starken (1670–1733) ausgefallen, die den künftigen Kurfürsten und König von Polen bis an den Hof Ludwigs XIV. (1638–1715) nach Versailles geführt hatte. Auch der Großvater Prinz Johann Georgs, König Johann von Sachsen (1801–1873), hatte zusammen mit seinem Bruder Clemens als junger Mann eine ausgedehnte Bildungsfahrt nach Italien gemacht, wo er die oberitalienischen Städte besucht und seine erste Ausgabe der »Göttlichen Komödie« von Dante Alighieri gekauft hatte, wodurch seine lebenslange Leidenschaft für den mittelalterlichen Dichter entstanden war. Doch keiner der Wettiner war so weit und so viel gereist wie Prinz Johann Georg. Bei ihm war es vor allem sein wissenschaftliches Interesse für die Kunst und Kultur des christlichen Orients und der orthodoxen und koptischen Kirche, welches ihn auf ausgedehnte Expedi tionen von Sankt Petersburg bis nach Kairo führte. Seine Entdeckungen schrieb Johann Georg in Reiseberichten nieder, die er später als Broschüren oder als kurze Beiträge in Fachzeitschriften veröffentlichte. Einen besonderen Schatz stellen seine über 10 000 Fotografien dar, die er zwischen 1904 und 1930 auf seinen Reisen anfertigte. 1910 hatte er sich speziell für seine Reisevorhaben eine neue Kameraausrüstung zugelegt. Damit zählt Johann Georg zu den Pionieren der Amateurreisefotografie, denn im frühen 20. Jahrhundert war es noch nicht üblich, seine Reiseerlebnisse auf Film zu bannen. Akribisch dokumentierte er die Stätten, die er besuchte, und fertigte zahlreiche Detailaufnahmen seiner Forschungsgegenstände an. Einige der Foto grafien veröffentlichte der Prinz später in seinen Publikationen. Nicht immer gelangen ihm brauchbare Aufnahmen. Viele Bilder sind unscharf oder falsch belichtet, sodass nichts darauf zu erkennen ist. Bei einigen Kirchen, Klöstern, Moscheen, Ruinen und Ausgrabungsstätten in Ägypten, Palästina und Syrien kann man davon ausgehen, dass Johann Georg wohl der erste war, der sie für die Nachwelt im Bild festhielt. Diese Fotografien besitzen heute einen besonderen wissenschaftlichen Wert, denn viele dieser Bauten waren damals in einem bes seren Zustand, wurden mittlerweile umgebaut, modernisiert oder gar zerstört. Die erste selbstständige größere Reise absolvierte Johann Georg 1898 nach Russland. Der Anlass ist leider nicht bekannt; möglicherweise hatte er die königliche Familie bei Die Reisen des »Grafen von Weesenstein« Zeitgenössische Kamera, Heinrich Ernemann, Modell Tropen-Heag VI, etwa 1913
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