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57 oder rotzig sein, wenn sie sich gleich im Anschluss wieder als fein artig erweist. Der holde Knabe hingegen gibt als weinender Indianer oder gestürzter Ritter ein doch allzu jämmer­ liches Bild ab, das ihm für immer anzuhaften droht. Diese schon früh einsetzende geschlech- terabhängige Akzeptanz von Kampf oder Unterwerfung verselbstständigt sich im weiteren Verlauf zu einem Rollenverständnis, das durchWiederholungen und Automatismen zu unter- schiedlichen Bewertungsmaßstäben gegenüber beiden Geschlechtern führt. Da entspricht es nicht unbedingt den Wünschen der Eltern, wenn ihr liebreizendes Töchterchen im zarten Kindesalter äußert, später bei der Feuerwehr, dem Militär oder der Polizei tätig werden zu wollen, wenngleich selbst hier noch Abstufungen möglich sind. Eine zukünftige Polizistin passt vielleicht gerade noch ins Bild, weil sie ja dann immerhin rundum schützend unterwegs sein wird, aber eine Soldatin wäre äußerst merkwürdig bis nicht auszudenken, denn derlei ist mit Kampf und Krieg verknüpft. Ebenso unterliegen die Affekte von Jungen und Mädchen unter- schiedlicher Anerkennung des Umfelds – der sich zuweilen danebenbenehmende Kronsohn wird zum temperamentvollen Draufgänger erklärt, während es sich bei der erlesenen Tochter mit ähnlichem Verhalten nur um eine freche Göre handeln kann. Und entsprechend greifen auch hier Vati und Mutti wieder beherzt korrigierend ein – er geht mit der Nachkommenschaft wild auf dem Fußballplatz herumbolzen, sie glättet mit biblischer Sanftmut durch Vorlesen und Keksbacken. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Nun, derartiges Schwarzsehen ist gewiss überzeichnend formuliert, jedoch wird stets auch vieles von dem in der Kindheit Gelernten im Erwachsenenalter zum Gelebten, auf dessen Basis sich dann gleichsam geschlechterspezifische »Kampftechniken« herausbilden, denn allein der damit einhergehende »Testfall Identitätswandel« erfordert wiederum »gewaltige« adaptive Strate- gien. Schon insofern wäre eine Ehe, in der sich diese Unterschiede nicht bemerkbar machen, eine eigenartige Konstellation. w | 2 | »Du bist wie deine Mutter.« Agenturmotiv, Polen, undatiert. | 3 | »Was wäre ich, wenn du nicht wärst.« Agenturmotiv, Deutschland, 2011.

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