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170 Es war ein Tag wie jeder andere, irgendwann imMärz 2012, als die Revolution der Frauen begann. Der heiße Wind trieb roten Sand zwischen den Baracken der Favela Jardim Columbia im Bun- desstaat São Paulo vor sich her, in der Dämmerung begannen die Männer zu trinken und einige Zeit später hörte man Frauen schreien. Nacht für Nacht verprügelten Männer ihre Frauen. Das war so, es gehörte zum Leben wie Fußball oder Grillfleisch. Auch Antonio, der Dachdecker, schlug in jener Nacht wieder auf seine Frau Patricia ein. Blaue Flecken hatte sie immer, einmal sogar einen gebrochenen Kiefer. Schon mehrfach hatte ihre Nachbarin Dona Carmen deshalb die Poli- zei gerufen. Gekommen war die nie. In jener Nacht ertrug Dona Carmen Patricias Schreie nicht mehr. Sie alarmierte zwei andere Frauen, zusammen stürmten sie die Hütte. Antonio drückte Patricias Gesicht gerade auf eine glühende Herdplatte, sie war im achten Monat schwanger. Die drei Frauen gingen auf Antonio los, schlugen ihn mit einemKnüppel nieder und brachten Patricia ins Krankenhaus. Anschließend sammelten sie bei den Nachbarinnen Geld, mit dem Patricia eine Busfahrkarte zurück nach Hause in den Nordosten Brasiliens kaufte. Es war das erste Mal, dass die Frauen gemeinsam gehandelt hatten. Dona Carmen verstand in jener Nacht, dass dies das Mittel für ein Ende der Gewalt sein könnte. Zwei Jahre später ist sie die Bürgermeisterin einer eigenen Favela namens Menino Chorão, gleich neben Jardim Columbia. Die Drogenbosse von Jardim Columbia überließen Dona Carmen diesen Zipfel, als sie merkten, dass Drohungen sie nicht mehr beeindruckten. Dass Dona Carmen es ernst meinte mit ihrer Forderung auf Gewaltverzicht. Und dass viele andere Frauen hinter ihr standen. 200, um genau zu sein. 200 Frauen waren bereit, eine Art Bürger- wehr zu bilden. Dona Carmen sagt, Menino Chorão sei eine feministische Favela. Hier gelten die Gesetze der Frauen. Würde man sie in eine geschriebene Fassung gießen, läse sich das so: 1. Gewalt gegen Frauen ist verboten. 2. Verprügelt ein Mann seine Frau, rufen die Frauen sich gegenseitig mit einer Tril- lerpfeife zur Hilfe. 3. Der Täter wird von den Frauen an einen Baum gebunden und selbst verprü- gelt. 4. Männer, die ihre Frauen verprügelt haben, unterliegen mindestens 15 Tage lang der »Dis- ciplina«, das heißt kein Sex, kein Fußballspiel, kein Alkohol. 5. Freunden, die ihnen helfen wollen, wird ebenfalls die Disciplina auferlegt. 6.Wiederholungstäter werden verstoßen.

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