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228 »Filthy little screen tests« In der Geschichte der schwulen Pornografie begann Anfang der 1970er-Jahre ein neues Kapitel, als Filmprodukte nicht mehr als Super-8-Streifen per Post an Privatkunden versandt, sondern öffentlich in Kinos gezeigt wurden. Den Anfang machte 1971 »Boys in the Sand«, der erste Porno film, der in »The NewYork Times« beworben und in »Variety« besprochen wurde. In vielen Filmen der 1970er-Jahre kommen Männer in Uniformen vor, wobei extreme Gewaltdarstellungen im Mainstream selten sind. Trotzdem werden teils Rollenmodelle zelebriert, die man als Echo einer vergangenen Epoche betrachten kann: die Zeit vor den Stonewall Riots 1969, als Homosexuelle noch »self-hating queen[s]« waren, die nur dafür lebten, »straight trade« zu bedienen und ein »Leben auf Knien« zu verbringen, wie David Halperin in »How to be Gay« schrieb. 7 Homosexuelle waren demnach ehemals unglückliche »Schwestern«, die in ständiger Konkurrenz zu anderen »Schwestern« standen, was die »Gunst von jungen und attraktiven Männern« anging. Dabei entstanden Filme wie die von Bobby Garcia, denen John Waters in seinem Buch »Role Models« ein ganzes Kapitel widmete. Darin berichtet er von »filthy little screen tests«, die Garcia über Jahrzehnte mit Hunderten von Marinesoldaten drehte. Garcia zog 1975 nach Los Angeles in die Nähe eines Marinestützpunkts und versuchte, Marines mit dem Versprechen von Geld, Bier und Blowjobs zu bewegen, für ihn Kurzfilme zu drehen. Garcia sagte selbst zur Attraktion von Marinesoldaten: »[They] are the toughest, the killers.« 8 Mit diesen Männern kam für Garcia nur passiver Sex infrage, bei dem die Marines völlige Anteilslosigkeit demonstrierten und ihre Hände hinterm Kopf verschränkt hielten, während Garcia sie oral befriedigte (in seltenen Fällen kam es auch zu Analsex). Die Handposition hatte auch praktische Gründe: »It’s because I wanted to see where their hands were«, für den Fall, dass die Gelegenheitsmodels Garcia schlagen oder würgen wollten. Aus dem gleichen Sicherheitsgrund sieht man in den Filmen, wie Garcia die Uniformen beiseite räumt: »You can see me in the films move their clothes away [...]. I don’t want a knife or something else hiding there.« Damit war zwar die Gefahr eines physischen Angriffs reduziert, aber verbale Attacken wie »I like to beat the shit out of faggots« gingen weiter. Solche Statements vor laufender Kamera waren jedoch erwünscht und erregten sowohl Garcia als auch seine Kunden. Die »gefährlichste Szene«, die er je drehte, war mit einem betrunkenen Psycho- paten namens Keith, der die Tür abschloss und schrie: »I’m gonna make you suck my cock.«Was natürlich in diesem Kontext für Garcia keine wirkliche Drohung darstellte und ein typisches Bei- spiel für die Umkehrung der Opfer- und Täterrollen ist. 9 Garcia filmte bis 1993, als es zu einem öffentlichen Skandal kam. Das US-Militär beschlagnahmte Filmmaterial, zwei Marines wurden entlassen. Bis heute kursieren einige seiner »screen tests« auf DVD-Kompilationen und Porno- webseiten, die Waters ironisch zugespitzt als »film festival tribute« für Garcia charakterisiert. 10 Eine Rollenverteilung wie in den Garcia-Streifen kam Ende der 1970er-Jahre zunehmend aus der Mode. In der Erstausgabe von »The Joy of Gay Sex« schrieben die Herausgeber 1977, dass solch strikte Aktiv-Passiv-Rollenspiele von den meisten modernen Schwulen als »old-fashi- oned« und »unliberated« abgelehnt würden. 11 Das neue Ideal sei ein »easygoing masculine exchange among friendly, mutually respectful teammates«. 12 Halperin führt die Filme des Studios Falcon als Beispiel an. Wenn dort Szenen mit (heterosexuellen) Militärangehörigen und Homo sexuellen vorkommen, dann ist der Gelegenheitssex – oft auf öffentlichen Toiletten oder wäh- rend eines Kurzurlaubs – tatsächlich »kameradschaftlich«. Dennoch bleibt die Aktiv-Passiv-Rollenverteilung bestehen: Die Militärangehörigen übernehmen weiterhin die Führungsrolle, stellen allerdings keine Gefahr mehr dar für Leib und Leben. | 2 | In der »Abduction«-Reihe beschwört US-Regisseur Steven Scarborough die Welt eines Pseudo-Konzentrations lagers herauf, das er in moderne AIDS-Krisenzeiten versetzt. Homosexuelle Männer werden dort gefangen gehalten und zu willenlosen Lustobjekten degradiert. Hier sieht man Chance Caldwell (r.) in voller NS-Montur mit einem Lageraufseher als dominante (heterosexuell wirkende) Objekte der Begierde für unterwerfungswillige Schwule.
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