Katalog

17 Da s L eb e n d es P hi l o s ophe n Jacob B öhme jene, die – wie etwa die Alchemie – heutzutage mehr der Magie als der Wissenschaft zugeordnet werden, sind in Görlitz ausgiebig diskutiert worden, und Böhme profitierte offensichtlich von diesem geisti- gen Umfeld. Besonders bemerkenswert ist die Tat­ sache, dass er das heliozentrische Weltbild in seine Philosophie aufnimmt – ein deutliches Zeichen der Auswirkungen, die der Ideenaustausch in seiner Umgebung auf ihn hatte. Nur ein Büchlein, das zwei kurze Texte umfasst und mit »Der Weg zu Christo« (1624) betitelt ist, er- scheint zu Böhmes Lebenszeit (Abb. 2). Alle anderen Schriften zirkulierten in Form von Manuskripten in einem Netzwerk von interessierten Lesern und An- hängern. Nach 1618 verlegt sich Böhme ganz auf das Schreiben, verkauft seine Schusterwerkstatt und widmet sich zeitweilig demHandel vonWaren. Auf- grund der Reisen, die er im Zuge seiner neuen Tätig- keiten unternimmt, geht er 1619 nach Prag und wird Zeuge, wie Kaiser Friedrich V. von der Pfalz seinen Einzug in die Stadt hält. Böhme berichtet in seiner Korrespondenz darüber – ein weiterer wichtiger Hin- weis auf die Tatsache, dass er kein zurückgezogener »Mystiker« war, als der er manchmal hingestellt wor- den ist. Im Gegenteil, Böhme ist sich der politischen Ereignisse und ihrer Bedeutung sehr bewusst, und seine Schriften sind nie lediglich theoretische Betrach- tungen, sondern zielen immer darauf, aufzuzeigen, dass das Wissen über die Welt und über das Göttliche nicht voneinander getrennt werden können. In seinem Todesjahr 1624 besucht Böhme den kurfürstlichen Hof in Dresden. Hier findet er Unter- kunft bei dem Leiter des örtlichen Laboratoriums Benedikt Hinckelmann. Der genaue Grund für Böh- mes Besuch in Dresden ist unbekannt. In einem Brief notiert er, dass die »Churfürstlichen Räthen« an seiner Schrift »Der Weg zu Christo« Gefallen fän- den und als »eine Göttliche Gabe [betrachten], und sich dessen täglich gebrauchen« (Send-Briefe, Brief 61,1). Ungeachtet dessen löste die Veröffentlichung des Büchleins im gleichen Jahr in der Tat eine Kon- troverse aus, nicht zuletzt in Böhmes Heimatstadt. Gregor Richter unternimmt einen erneuten Angriff gegen den »fanatischen Schuster«, der daraufhin ins Rathaus vorgeladen wird, um sich zu verteidigen. Am Ende wird Böhme freigesprochen, doch nur, weil er beweisen konnte, dass er zwar der Autor des Buches war, aber nicht dessen Publikation veranlasst hatte, denn hierfür zeichnete der Adlige Hans Sigmund von Schweinichen allein verantwortlich. Nach der Rückkehr aus Dresden erkrankt Böh- me und stirbt in Görlitz in der Nacht vom 16. auf den 17. November. Sein schärfster Gegner Gregor Richter war nur wenige Monate zuvor im August 1624 ver- storben, nachdem er in Görlitz ein heftiges Pamphlet gegen Böhme veröffentlicht hatte (Abb. 3). Richters Vorgehen hatte vermutlich eine Abneigung gegen Böhme in seiner Heimatstadt zur Folge, denn das von Böhmes Freunden errichtete Grabkreuz wurde bald nach dessen Begräbnis zerstört (Abb. 4). Heute ist Böhmes Grab auf demNikolaifriedhof mit einem großen Stein gekennzeichnet, der eine der berühm- testen Abbildungen seines philosophischen Systems trägt – die »Philosophische Kugel« (siehe S. 62, Abb. 20), welche in einer einzigen Zeichnung Böh- mes zentrale Vorstellung vomKampf zwischen Licht und Finsternis darstellt. Aus dem Englischen von Iris Yvonne Wagner Anmerkung 1 Zit. in Jecht 1924, S. 36. Zum Leben Jacob Böhmes siehe vor allem: Fechner 1857, S. 313–446; Koyré 1929; Lemper 1976; Weeks 1991; Penman 2014, S. 57–76; Muratori 2017 (online veröffentlicht).

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