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45 C e c i l i a Mu r a t o r i F I NS T ERN I S »Denn es stehet geschrieben: Und es war finster auf der Tieffe« (Aurora 18,95). Finsternis ist für Böhme die Grundlage und der Beginn von allem, wie er in »Aurora« mit dem Zitat aus der Genesis (Gen 1,2) andeutet. Noch bevor Gott das Licht erschafft und es von der Dunkelheit scheidet, liegt alles in Finsternis: Dies bedeutet, dass die Finsternis zuerst existierte und damit der Ursprung und die notwendige Bedin- gung für das Sichtbarwerden des Lichts ist (Abb. 6). In diesem Sinn hat Finsternis einen ontologischen Vorrang vor dem Licht: Wie in der Genesis entsteht für Böhme deren Gegensatz, als das Licht aus der an fänglichen Finsternis aufscheint. Aus diesem Grund hat »Finsternis« zwei wichtige Bedeutungen: Es zeigt sowohl das anfängliche Fehlen jeglicher Unterschei- dung als auch das Gegenteil von Licht, welches erst mit der Scheidung von beiden erkennbar wird. Und dennoch besteht Böhme darauf, dass Finsternis und Licht wie Nacht und Tag nur als zwei Teile einer Ein- heit existieren können – unterschiedlich, aber doch verbunden durch ihre gegenseitige Abhängigkeit, denn das eine kann ohne das andere nicht sein. Kein anderes Konzept von Böhmes Denken ist mehr kritisiert undmissverstanden worden als »Fins- ternis«. Der Hauptgrund liegt darin, dass Finsternis ein facettenreiches Konzept ist, mit einer logischen, 6 »Et sic in infinitum«, Kupferstich, Radierung, aus: Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris […] et minoris, Oppenheim 1617, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, 1.B.3237-1
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