Katalog

102 B öhmes Konte x t Böhme war nicht der Einzige, der versuchte, neue und alte Wissensordnungen in Übereinstim- mung miteinander zu bringen. Seit dem ausgehen- den 16. Jahrhundert fanden die von Nikolaus Koper- nikus (1473–1543) eingeleiteten Veränderungen in der Vorstellung vom Aussehen und Funktionieren unseres Planetensystems eine immer breitere Wahr- nehmung (Abb. 2). Im Zentrum seiner Überlegun- gen stand die Position der Sonne. Seit der Antike haben die Theorien des Claudius Ptolemäus, das sogenannte ptolemäische System, den wissenschaft- lichen Diskurs über die Bewegungen der Planeten bestimmt. Nach seiner Theorie kreist die Sonne ge- meinsam mit dem Mond und den Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Erde, die das ruhende Zentrum der »Welt« bildete. Dabei war je- dem dieser klassischen Planeten eine eigene Sphäre zugeordnet, in der er seine Bahnen um die Erde drehte. Den äußeren Abschluss der Welt bildete die Sphäre der Fixsterne, die man sich als gläserne Kugel vorstellte, auf der die Sterne fixiert waren. Um sich besser orientieren zu können, fasste man einzelne Sterne zu Sternbildern zusammen. Bei der Beobach- tung der Bewegung der Himmelskörper von der Erde aus wurden aber immer wieder Ungereimtheiten festgestellt. Zum Beispiel bewegten sich Venus und Merkur in regelmäßigen Abständen zwischen Erde und Sonne, die anderen Planeten hingegen nicht. Kopernikus hatte bereits 1509 eine kurze Skizze seiner Theorie eines heliozentrischenWeltbildes un- ter dem Titel »Commentariolus« verfasst, mit der er die Widersprüche des ptolemäischen Systems berei- nigen wollte. Er zögerte jedoch lange, das 1520 im Wesentlichen abgeschlossene Manuskript drucken zu lassen. 1538 beauftragten die Nürnberger Verleger Johannes Schöner und Johannes Petreius den Wit- tenberger Professor Georg JoachimRheticus, Koper- nikus an seiner Wirkungsstätte in Frauenburg aufzu- suchen und ihn zur Veröffentlichung seiner Theorie zu überreden. Fast zwei Jahre verbrachte er mit Kopernikus an der Ostsee, bevor 1543 in Nürnberg unter dem Titel »De revolutionibus orbium coelesti- um« (Über die Umläufe der himmlischen Kreise) jenes Werk erschien, das die Kultur- und Wissen- schaftsgeschichte erschütterte wie kein anderes. 3 Ko- pernikus beschreibt darin, dass sich die Erde um ihre eigene Achse dreht und ebenso wie die anderen Pla- neten die Sonne umkreist. Nach Kopernikus bildet die Erde nicht mehr den Mittelpunkt der Welt. Um die Sonne bewegen sich vielmehr – von innen nach außen gesehen – Merkur, Venus, Erde mit Mond, Mars, Jupiter und Saturn. Die abschließende Sphäre der Fixsterne umhüllt weiterhin die Welt. Mit einem Mal gerieten göttliche Schöpfung und Ordnung ins Wanken, wurdenThema von Diskussionen und pro- vozierten Fragen, die die Menschen zutiefst verunsi- cherten. Denn nach dem Buch Genesis wurden am vierten Tag die Himmelskörper (Sonne, Mond und Sterne) am Gewölbe des Himmels angebracht. An- dere Bibelpassagen bestätigen, dass Sonne undMond im Himmel fest stehen und die Erde sich nicht be- wegt. 4 Diese simple Vorstellung wurde von den Astronomen zu einem immer komplexeren Gefüge erweitert. Wie Jacob Böhme suchten die Astrono- men dabei selbst nach Wegen, das alte und neue Wissen über das Universum in ein kohärentes Sys- tem zu bringen. Kopernikus stellte die Sonne in einen geradezu religiösen Kontext, indem er sie als das Zentrum alles Guten bezeichnete. 5 Selbst Johannes Kepler, bekannt für seine Gesetze der Planetenbewe- gung, stellte ähnliche theologische Vergleiche an wie Jacob Böhme. Laut Kepler ist die Welt eine Kugel, die das Bild des Schöpfergottes darstellt. Die Heilige Dreifaltigkeit werde von den verschiedenen Teilen der Kugel repräsentiert: Das Zentrum ist der »Vater«; die Oberfläche der »Sohn« und der Raum dazwi-

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1