Katalog

105 D i e S onne im Z e ntr um? ruhende Zentrum inmitten aller Planetenbewegun- gen hat plötzlich seinen Platz verloren. Das heliozentrische Weltbild findet hier eine visuelle Adaption, während das geozentrische Welt- bild um sein Überleben kämpft. Doch dieses außer- gewöhnliche Objekt bezieht die Erde indirekt mit ein, da menschliche Figuren Teil seiner Repräsenta- tion sind. Oberhalb des Sockels befindet sich eine Tür. Sie führt in das Innere des Turmes, in den ein kleinerer und flacher Zylinder eingehängt ist. Dessen Außenseite schmücken 28 Figuren, von denen jeweils eine in der Tür erscheint (Abb. 4). Nach welchen Kri- terien die Figuren in der Tür sichtbar werden, ist unklar. Es sind jedoch offensichtlich die Erdenbe- wohner, die hier den einzigen Hinweis auf unseren Planeten liefern, wobei ihre Anzahl auf den 28-jäh- rigen Sonnenzyklus verweisen könnte. Von den 28 dargestellten Personen lassen sich nicht alle zweifels- frei identifizieren. Benennbar sind Aristoteles, Pto- lemäus und Kopernikus, die sich in ähnlicher Dar- stellung auch auf dem Titelblatt von Galileo Galileis »Dialogus de systemate mundi« (Dialog der Welt­ systeme) wiederfinden, das 1632 erstmals erschien (Abb. 1). In diesem Buch werden das alte ptolemäi- sche und das neue kopernikanische Weltbild gegen- einander ausgespielt und die aristotelische Bewe- gungslehre angezweifelt. Galilei beschreibt seine Beobachtungen der Planeten mit einem Fernrohr und stellt selbstverständlich die Frage nach dem wahren Weltbild. Obwohl ihm stichhaltige Beweise fehlen, nimmt er Partei für das heliozentrische Welt- bild des Kopernikus. Die Fernrohrbeobachtungen erschütterten zwar die aristotelische Physik, konnten das heliozentrische Weltbild jedoch nicht beweisen. Hierzu lieferte erst Johannes Kepler 1609 die ent- scheidenden Erkenntnisse, indem er vor allem die elliptischen Umlaufbahnen der Planeten nachwies, die Galilei noch nicht berücksichtigen konnte. Die katholische Kirche sah sich durch diese astronomischen Entdeckungen bedroht und stellte Galilei wiederholt vor Gericht. Am Ende seines In- quisitionsprozesses musste dieser dem heliozentri- schen System abschwören, und noch 1835 stand seine Schrift auf dem Index der verbotenen Bücher. 13 Die Auseinandersetzung mit den neuen Beobachtungen konnte dadurch allerdings nicht aufgehalten werden. Insbesondere in den protestantischen Gegenden wandte man sich verstärkt der Erforschung des Kosmos zu. Obwohl Martin Luther dieTheorie von Kopernikus ablehnte und Philipp Melanchthon sie relativierte – er dachte, es handle sich nur um die Überarbeitung einer Theorie des antiken griechi- schen Astronomen Aristachos von Samos –, darf hier die Rolle der Professoren in Wittenberg, der Hochburg der Lutheraner, nicht unterschätzt wer- den. Wie schon erwähnt, hatte Georg JoachimRheti- cus, Professor der Mathematik und Astronomie in Wittenberg, einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung der Ideen des Kopernikus. 4 Detail: Figuren auf dem inneren Zylinder des Philosophischen Turms

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