Katalog

171 D i e Har moni e d e r G eg e n s ät z e 2 Johannes Itten, Turm des Feuers /des Lichts, 1920 vor dem Tempel­ herrenhaus in Weimar. Plastik aus Holz, Metall und farbigem Glas, Fotografie, Nachlass Johannes Itten neugegründete Bauhaus. 26 Mit Itten hält auch die Mazdaznanlehre mit ihren Übungen zu Rhythmik, Atmung und Ernährung Einzug am Bauhaus. Wel- chen enormen Einfluss die Mazdaznanlehre auf den Unterricht Ittens hatte, ist ausführlich analysiert worden. 27 Sie ist ein Schlüssel zum Verständnis sei- ner Werke und seines Wirkens in Weimar. Als erstes Kunstwerk entsteht dort der heute verlorene »Turm des Lichts«, der als symbolische Architektur-Farb- Licht-Klang-Plastik seine Auseinandersetzung mit Farbe, Musik und Theosophie bezeugt (Abb. 2). Die durch kegelförmige farbige Glasfächer erreichte zwölfteilige Gliederung des sich nach oben spiralför- mig verjüngenden Turms in den drei Hauptfarben Rot, Gelb und Blau entspricht den zwölf Stufen einer aufsteigenden Evolution von den Mineralien über die Pflanzen, Tiere und Menschen bis zum Logos. Ursprünglich sollten kleine Glöckchen den oberen Abschluss der Architekturplastik bilden. In einem Tagebucheintrag von 1916 notiert Itten »Das Bilden des Begriffs ist das Wesentliche. Begriff =Wort = plastische Form= Ton. Jeder Begriff ist eine Stufe des Weges zu Null =Unendlich = Licht = Gott.« 28 Mit den verwendeten Materialien Glas und Plastik tritt bei Itten die bildhauerische Arbeit zugunsten der Idee einer immateriellen Gedankenarchitektur zurück. Ihm geht es um die Darstellung der Gedankenkon- zentration und der Lösung vom Materiellen. Die Parallele zu Böhme liegt in der Entmaterialisierung der Materie und der Natur, die wesentlich für Böh- mes Denken sind, und in der qualitativen Vergeisti- gung der Dinge. 29 Der Sündenfall bedeutet für Böh- me den Fall in die Materie. Er erwartet die »Wieder- bringung« in einer ursprünglichen, himmlischen Welt, wo alle Gegensätze harmonisiert werden. Der Gedanke einer Befreiung von der Materie liegt nicht nur dem »Turm des Lichts« zugrunde, sondern den Werken zahlreicher Künstler jener Zeit.

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