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13 C e c i l i a Mu r a t o r i DER SCHUSTER , DER NI CHT BE I SE INEN L E I STEN B L I EB DAS L EBEN DE S PH I LOSOPHEN J ACOB BÖHME Am 16. Juli 1613 notiert der Bürgermeister der Stadt Görlitz, Bartolomäus Scultetus, in sein Tagebuch: »Jacob Boehme, ein Schuster, [wurde] zwischen den Toren hinter dem Spitalschmiede zum Ablohnen aufs Rathhaus gefordert, und um seinen enthusiasti- schen Glauben gefragt.« 1 Der Stadtrat von Görlitz hatte von einemmög- licherweise gefährlichen Buch Kenntnis erhalten, das als Manuskript zirkuliert (Abb. 1). Die Originalkopie, verfasst von dem Schuster Jacob Böhme, wird kon- fisziert, und bereits zwei Tage später hält der Haupt- pastor von Görlitz, Gregor Richter, eine hitzige Pre- digt in der Kirche St. Peter und Paul, in der er Böhme beschuldigt, fanatische Ideen zu verbreiten. Die be- treffende Schrift mit dem Titel »Morgenröte imAuf- gang« – später »Aurora« genannt – hatte Böhme im Jahr zuvor innerhalb von sechs Monaten verfasst. Das beschlagnahmte Buch war zu diesem Zeitpunkt noch unvollendet, und Böhme sollte nicht mehr dazu kommen, es abzuschließen. Zu jener Zeit ist Jacob Böhme 38 Jahre alt. 1592 war er aus dem nahe gelegenen Dorf Alt-Seidenberg, seinemGeburtsort, nach Görlitz übergesiedelt. Eini- ge Jahre später, um 1599, erwirbt er am Marktplatz der Stadt einen Schusterladen, erhält die Bürgerrech- te und heiratet Katharina Kuntzschmann, die Toch- ter eines Metzgers. Aus ihrer Ehe gehen vier Söhne hervor. Wegen seines Berufs erhält Jacob Böhme den Beinamen »der Schuster«, so wie er auch in der No- tiz von Scultetus vermerkt ist. Da der Name »Jacob Böhme« in Görlitz damals sehr geläufig war, bedurf- te es dieses Zusatzes. In seinem Fall jedoch erhält die Bezeichnung »fanatischer Schuster« eine weitere Bedeutung, die über seine berufliche Tätigkeit hin- 1 Titelblatt aus: Jacob Böhme, Morgenröte im Aufgang – Aurora, 1612, Handschrift, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 62 Noviss. 4°, fol. 3r

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